Sophia lebt und liebt den Zirkus. Nicht nur als Berufsumfeld, sondern auch als Zuhause. Mit ihrem renovierten Zirkuswagen wohnt sie mit einigen Gleichgesinnten am Stadtrand von Wien – und hat ihre Erfahrungen mit uns geteilt. Von Glücksmomenten und kalten Tagen... „Früher war das ganz normal für mich“, sagt Sophia. Der Zugang zum Zirkusleben wurde ihr, als Tochter von Zirkuspädagogen, schon in die Wiege gelegt. „Zu Hause hatten wir immer einige Zirkuswägen herumstehen“, erzählt sie. Im Sommer, wenn sie mit dem Zirkus unterwegs waren, wurden diese natürlich auch bewohnt. Dass sie selbst auch längerfristig in einem Wagen wohnen wollte, war für sie schnell klar. Ein eigener Zirkuswagen als Geschenk. Zum Abitur wurde der kleine Traum dann wahr: Ein eigener Zirkuswagen als Geschenk zum Schulabschluss. Mit diesem verließ sie dann auch schnell das Elternhaus und zog auf einen Wagenplatz nahe Mainz bei Frankfurt in Deutschland. Zwei Jahre lang studierte sie dort auch an der Zirkusschule und ließ sich zur Clownin ausbilden. Nach weiteren Umzügen wohnt Sophia mittlerweile mit ihrem Wagen seit einigen Jahren in Wien. „Das mobile Leben, mein Zuhause mitnehmen zu können und an keinen Ort gebunden zu sein, bedeutet für mich schon eine große Freiheit und einen der größten Vorteile des Wagenlebens“, betont sie. Der eigene Raum innerhalb einer Gemeinschaft – Wohnen am Wagenplatz. Für Sophia kam es nicht im Frage, mit ihrem Wagen alleine in einem „Hintergarten“ zu stehen. „Diese Mischung aus individuellem und gemeinschaftlichem Wohnen finde ich super“, erklärt sie. Hier wohnen knapp 20 Menschen auf einem großen Grundstück – alle in ihren eigenen Wägen, aber mit viel Platz zum gemeinsam Kochen, Arbeiten oder einfach im Freien zusammenzusitzen. Draußen sein, die Natur hautnah erleben. Winter wie Sommer. Ein weiterer schöner Aspekt für sie, nicht direkt in der Stadt zu wohnen. „Ein großer Teil des Wohnraumes ist nun mal draußen, wenn man in einem Wagen lebt. Man ist gezwungen, seinen Wagen zu verlassen, wenn man aufs Klo möchte oder Wasser holen geht. Diese Art von direktem Kontakt zur Natur bekommt man in der Stadt nicht mit, selbst mit eigenem Garten oder Terrasse.“ Sogar eine Sauna auf Rädern gibt es... „Natürlich wäre es manchmal fein, fließend warmes Wasser im Wagen zu haben, oder eine große Küche. Und morgens bei unter 10°C aufzuwachen, ist auch nicht immer ein Spaß!“, erzählt Sophia und lacht. Trotzdem überwiegen für sie die Vorteile des selbstbestimmten Wohnens. Geheizt wird mit einem kleinen gemütlichen Holzofen, der den gut isolierten Wagen auch sehr schnell wieder aufwärmt. Viel Platz ist nicht, trotzdem erscheint der Wagen geräumiger als gedacht und bietet genug Raum für Schlaf-, Arbeits- und Küchenbereich, ohne voll zu wirken. Klo, Dusche, Abwasch etc., werden gemeinschaftlich genutzt – in einem eigenen Sanitärwagen. Sogar eine Sauna auf Rädern gibt es... Dass der Wagenplatz einen Stellplatz hat und einen fixen Vertrag, ist übrigens nicht selbstverständlich. Andere Wagenplätze in Wien haben keinen Platz für die Ewigkeit. Sie wollen stadtnäher leben und besiedeln Flächen, die leer stehen oder zwischenzeitlich nicht in Verwendung sind – doch das ist der Stadt oft ein Dorn im Auge. In Deutschland wäre die Wagenplatzszene nicht nur etablierter, sondern auch viel heterogener, erklärt Sophia. „Finanziell ist das Wagenleben auch eine Erleichterung, denn abgesehen von den Anschaffungskosten des Wagens und den geringen Mietkosten des Wagenplatzes bin ich relativ unabhängig“, meint Sophia. Als selbstständige Clownin und Zirkuspädagogin kann sie gut von ihrem Beruf leben – allerdings nur dank ihrer relativ geringen Fixkosten. Ihr Alltag ist stark saisonabhängig: im Sommer und in den Ferien ist Zirkus-Saison, da wird viel gereist und getourt – und das meiste Geld für das Jahr verdient. Müsste sie während ihrer Reisen auch noch für einen teuren Wohnraum aufkommen, den sie in dieser Zeit gar nicht nutzt, würde das ganze Konzept natürlich nicht so gut aufgehen. Vom Straßentheater über Schulprojekte und Kinderzirkus bis hin zu Clownshows verschiedenster Art reicht Sophias Berufsalltag. Jetzt geht es aber erstmal nach Amerika, wo Sophia drei Wochen lang im Zuge eines Stipendiums für Clowninnen an ihrem neuen Programm arbeiten wird. Seit zehn Jahren wohnt Sophia jetzt schon in ihrem Wagen auf verschiedenen Wagenplätzen: „So schön und spannend das auch ist, irgendwann werde ich mich wahrscheinlich auch wieder auf ein anderes Wohnen einlassen.“ Nach so langer Zeit wiederholen sich die Vorgänge am Wagenplatz ein wenig: Umbauten, neue Mitmenschen, neue Infrastrukturen, viele Diskussionen... Mit mehreren Menschen zu wohnen, erfordert natürlich viel Geduld und kann auch anstrengend sein. Sich Ruhe und Rückzug zu nehmen, den sie braucht, fällt ihr als kommunikativer Mensch nicht immer so leicht. Die Gemeinschaft an sich funktioniere aber sehr gut, meint Sophia. Einige wichtige Grundsätze sind schriftlich festgehalten, um unnötige Diskussionen zu vermeiden; in regelmäßigen „Plena“ wird Aktuelles besprochen. „Sachen liegen lassen zu können, das ist schon manchmal schön!“ Wieder in einer Wohnung oder einem Haus im klassischen Sinne zu wohnen, kann sich Sophia nicht vorstellen – vor allem die Stadt würde sie nicht glücklich machen. Allerdings genießt sie es schon, wenn sie am Bauernhof ihres Freundes zu Besuch ist: „Vor allem der Platzaspekt: Sachen liegen lassen zu können, das ist schon manchmal schön!“, schwärmt sie lachend, „daran könnte ich mich schon gewöhnen...“ Web-Tipp: www.daszirkusmaedchen.com Fotos: Sarah Langoth, Christopher Glanzl Text: Sarah Langoth
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