Je näher eine Tätigkeit am Menschen ist, desto höher die Bezahlung. Jeder Bewohner hat ein CO2-Kontingent für Fernreisen mit Flugzeug, Schiff und Bahn. Und in Craftshops wird reparieren, tischlern und Brot backen geschult… „Zero City“ nennt sich ein spannendes Projekt in Hamburg, das die Weichen für die „Stadt von Morgen“ stellt. Eine Stadt, die auf wirtschaftliches Wachstum verzichtet. Für viele Ökonomen ein absolutes No-Go. Für die Initiatoren der unabhängigen, bürgerbasierten Denkfabrik „Nexthamburg“ jedoch eine überaus reizvolle Vision, die auch umgesetzt werden soll. Nach dem Motto: Gedacht – und gemacht. Wie könnte, oder vielmehr sollte die (Hanse-)Stadt im Jahr 2030 aussehen? Eine „Stadt in der Stadt“, die auf Wirtschaftswachstum verzichtet und den Menschen in das Zentrum für mehr Lebensqualität stellt. Seit dem Jahr 2009 haben sich in diesem „kollaborativen“ Forschungsprojekt Menschen in Hamburg zu Diskussionen, Themen-Workshops und Zukunftscamps getroffen, um Ideen und konkrete Umsetzungsmodelle zu definieren. Das Ziel: eine „neue Lebensqualität in der Stadt“ schaffen. Über 700 Ideen hat die Nexthamburg-Community für die Stadt von Morgen entwickelt. Und es werden laufend mehr. Der neue Stadttyp heißt: Zero City. Nach rund sechs Jahren intensiver Ideenfindung, geht es seit Anfang 2014 an die konkrete Planung und Umsetzung. Im Fokus des Bürger-Engagements der Nexthamburg-Bewegung, steht die Entwicklung eines neuen Stadttyps. Der Name: „Zero City Quartier 2020“. Unter diesem Titel soll eine ökologische Stadt entstehen, wo nur jene Ressourcen verbraucht werden, die diese auch erwirtschaftet. Im Zentrum des Zero City-Projekts stehen 10 Grundregeln, die von der gut vernetzten Community aus engagierten Bürgern und Experten entwickelt und ausformuliert wurden: 1. Produktion: nur für den eigenen Bedarf produzieren. In der „Zero City“ der Zukunft werden Produkte „on Demand“ („auf Anforderung“) vor Ort hergestellt und sofort verkauft. Im „Refurbishment Center“ werden alte Produkte veredelt und neu angeboten („Upcycling“). Nach Lösungen für ungewöhnliche Produktwünsche wird im „Open Prototyping Café“ gesucht, das von Bürgern geführt wird. 2. Stoffströme: alle verwendeten Materialien in der Zero City sind wiederverwertbar. Das heißt: alle Produkte sind kompostierbar oder lassen sich für neue Waren wiederverwerten = „Zero Waste“. Es herrscht ein „Allpfand-System“: für alle Waren gilt ein Pfand, das man bei der Rückgabe wieder retour bekommt. Und: in Mikro-Kohlefaser-Fabriken werden aus Abfall Werkstoffe hergestellt, was ganz dem Trend zum „Urban Mining“ (= die Stadt als Rohstoffmine) entspricht. 3. Ernährung – Lebensmittel werden zu 100 Prozent in der Zero City hergestellt. Dabei wird jeder geeignete Freiraum zum „Urban Farming“ genutzt (siehe auch „Urban Gardening”-Artikel). Jeder Bürger besitzt ein Nutztier oder eine Patenschaft darauf. Ein besonders interessanter Vorschlag: sogenannte „Home-Molkereien“ und Gemeinschaftsbäckereien sollen den Grundbedarf an Grundnahrungsmitteln abdecken. 4. Vorsorgung – Strom, Wasser und Wärme werden zu 100 % in der Zero City gewonnen. Jeder Bürger soll dabei in Form von Erdwärme, Solarenergie und Mikro-Windmühlen „10 % mehr Energie als benötigt“ produzieren. Der Nutzer wird dabei auch zum Energieproduzenten. Futuristisch muten die beiden nächsten Idee an: so sollen „Piezo-Sensoren“ Alltagsbewegungen in Energie umzuwandeln. Und: spezielle Kleidung – aus Nano-Stoffen – wandelt Körperwärme in Energie um. Neue „Energiequellen“ braucht das Land… 5. Besitz – was geteilt werden kann, wird geteilt. Also: Werkzeuge, Transportmittel, Bücher, Spielkonsolen, Kleidung, Büros, Gemüsegärten… In „Why own it-Cafes“ können Nachbarn ihre Werkzeuge und Dinge dann zum Ausleihen anbieten. Jede Zero City verfügt über einen eigenen Fahrzeug-Pool mit ausleihbaren Gefährten aller Art. Natürlich hat die Stadt von Morgen eine Online-Tausch-Plattform – genannt „Zeroshare“. 6. Erwerbsarbeit – es gilt die 20-Stunden-Woche, damit Erwerbsarbeit gerecht verteilt wird. Eine „Job-Bank“ checkt, welche Tätigkeiten nicht abgedeckt sind und organisiert die Vermittlung. Es herrscht das Prinzip „Human Pay“. Dies bedeutet: je näher eine Tätigkeit am Menschen ist, umso höher wird sie bezahlt. Und es wird eine „Negativsteuer“ eingeführt: je weniger man arbeitet, desto mehr zahlt die Gemeinschaft. 7. Gemeinwesen: im Rahmen der Zero City-Organisation leistet jeder Bürger pro Woche 10 Stunden gemeinnützige Arbeit. Jene Unternehmen, die Zeit für mehr kommunale Arbeit in der Stadt lassen, erhalten „Zero-Tax“-Steuervorteile. Gemeinnützige Arbeit wird über Zeitkonten mit kommunalen Leistungen entlohnt. Und: im lokalen Craftshop werden handwerkliche Tätigkeiten geschult – vom reparieren über tischlern bis hin zum Brot backen. 8. Vorsorge – individuelle Grundsicherung in Form eines „Bürgergeldes“. Finanziert wird das Bürgergeld durch Abgaben und eine (Zero City-)übergreifende Bürgerstiftung. Jeder, der sich den Grundsätzen der Zero City verpflichtet, erhält Bürgergeld. Das Bürgergeld gleicht auch den Verlust durch die Gemeinwesensarbeit aus. 9. Wohnen – auf einen Quadratmeter Raum, kommen zwei Quadratmeter Gemeinschaftsraum. Eine Form von „Dorf-WG“, aus Freunden und Nachbarn, teilt sich Arbeitsräume, Küchen und Gärten. Jedes „Dorf“ hat einen Hundertmeter-Laden, der Produkte aus und für die Nachbarschaft anbietet. Chillig: in „Snooze-Cafés“ kann man sich alleine oder in der Gruppe zurückziehen und entspannen. 10. Mobilität – die Zero City setzt zu 100 % auf nicht-fossile Mobilität. Das heißt: zu Fuß gehen und das Fahrrad sind das Rückrat des Alltags. Stichwort „Langsamverkehr“. Jeder Bewohner hat ein CO2-Kontingent für Fernreisen mit Flugzeug, Schiff und Bahn. Dachcampen, Industriegolf und Hafenbaden: „Zero City Tours“ bietet spannende Reiseziele am Heimatort. Fazit: Wie kann sich eine ganze Stadt organisieren, die auf Wirtschaftswachstum verzichtet und auf maximale Vermeidung von Ressourcen setzt? Das von Bürgern geführte Nexthamburg-Projekt „Zero City“ zeigt, wie das gelingen kann.Ein überaus anregende Vision eines nachhaltigen Lebenskonzepts im städtischen Raum, das nicht nur in Hamburg seinen Raum zur Entfaltung finden könnte… www.nexthamburg.de Helmut Wolf
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