Haus, Auto, Möbel, Kleidung, Elektronik, Karriere… Obwohl es den Menschen in den westlichen Industrienationen keineswegs an materiellen Dingen und Perspektiven mangelt, ist die Stimmung nicht die allerbeste. Zunehmend wird das „System“ in Frage gestellt. Sinnstiftende Aspekte wie Gemeinschaft, Bescheidenheit und Lebenszufriedenheit rücken in den Vordergrund. Vom viel Haben zum weniger Benötigen. Glück statt Karriere. Weniger ist mehr. Die Slogans der Glücksforscher und Sozialexperten bringen eine Stimmung innerhalb der westlichen Gesellschaft auf den Punkt, die auf einen großen Wertewandel vieler Menschen schließen lässt: Besitztum macht nicht automatisch zufriedener. Mehr Geld zu haben, bedeutet nicht gleichzeitig glücklicher zu sein. Und: Karriere ist nicht alles im Leben. Dies belegt auch eine Gfk-Studie in Deutschland, wonach 20 % der Befragten der Meinung sind, mehr Besitz macht nicht generell zufriedener. Wohlstand = Lebenszufriedenheit? „Wohlstand und allgemeines Wirtschaftswachstum machen den Einzelnen nicht automatisch zufriedener“, betont US-Psychologe und Wirtschaftsnobelpreisträger Daniel Kahneman von der Universität Princeton. Kahneman widerlegt den rationellen Indikator vieler Ökonomen „Wohlstand = Lebensglück“. Kahneman, der für seine Erforschung „ökonomisch unsinnigen Verhaltens“ den Wirtschaftsnobelpreis erhalten hat, erklärt warum Wohlstand nicht gleichzeitig Lebenszufriedenheit bedeutet: „Wenn alle Menschen um einen herum ihren Besitz vermehren, nimmt man den eigenen Fortschritt kaum wahr“. Irgendwann sei auch das prächtige Haus Normalzustand. Kahneman’s Erkenntnis: der Aufschwung einer nationalen Wirtschaft sage wenig über die Zufriedenheit der Menschen in diesem Markt aus. Reichtum und Glücksmomente. US-Psychologe Kahneman befragt regelmäßig Testpersonen auf ihre glücklichen Momente im Leben. Eine Schlussfolgerung: Reichtum erhöhe nicht die Anzahl der Glücksmomente, sondern – im Gegenteil – verringere diese sogar: „Je größer der berufliche Erfolg, desto mehr dominieren Momente schlechter Stimmung den Alltag. Weil man zum Beispiel weitere Wege im Auto zurücklegen muss,” betont der US-Psychologe in einem Interview. Alles, was die Aufmerksamkeit an etwas Angenehmes fesselt, macht Glücklich. „Jeder Bewohner der westlichen Welt besitzt mehr als 10.000 Gegenstände. Da ist es kein Wunder, wenn man der Dinge überdrüssig wird“, erläutert die Expertin für Konsumpsychologin und Innovationsmanagement Simonetta Carbonaro. „Die Menschen haben es satt, dieses Hamsterrad weiter anzutreiben“. Carbonaro spricht dabei von einer neuen Form der Bescheidenheit, die nicht mit einem Gefühl des Verzichts verbunden ist. Einer Bescheidenheit, die vielmehr zu Erfüllung und Glück führt: soziale Netzwerke, die Renaissance der Nachbarschaftshilfe oder die vielen Recycling- und Tauschplattformen zeigen deutlich, dass die Menschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen und Verantwortung für Umwelt und Zukunft übernehmen wollen. Bequemlichkeit als Schwäche? Ökonomen sehen den Wandel zu einer „neuen Bescheidenheit“ dagegen eher skeptisch: könnte diese Bequemlichkeit als Konkurrenzschwäche ausgelegt und zum Nachteil gegenüber aufstrebende Wirtschaftsregionen wie China oder Indien geraten? Nein, widerspricht die Neurowissenschaftlerin Tania Singer dieser Einschätzung. Singer, die wirtschaftliches Entscheidungsverhalten erforscht und Neuroökonomie an der Uni Zürich lehrt, ist überzeugt davon, dass auch in der Wirtschaftswelt ein Wandel des Wertesystems einsetzt: weg von der reinen Ausrichtung auf Wettbewerb und Macht, hin zu Modellen, die das Wohl der Gesellschaft als Gewinn verbuchen. „Die Menschen wollen nicht Teil der Wirtschaft, sondern Teil der Gesellschaft sein,“ bringt Konsumpsychologin Simonetta Carbonaro das wachsende Bedürfnis der Gesellschaft nach Zusammengehörigkeit und Sinnhaftigkeit auf den Punkt. Der Boom von Fairtrade-Produkten oder die zahlreichen Initiativen, die sich mit den Herstellungsbedingungen von Produkten befassen, weisen auf eine Entwicklung hin, die auf einem neuen Werteverständnis und Gemeinschaftssinn basiert. „Wir befinden uns in einer Zeit des Umbruchs: weg von der hedonistischen Ich-AG, hin zur Wir-Gesellschaft,” ist sich Carbonaro sicher. Work-Life-Balance. Wie sieht es mit der vielbeschworenen Work-Life-Balance aus? Hat die kommende Generation wirklich eine Chance glücklich zu werden? Einige Indikatoren deuten jedenfalls darauf hin. Einerseits zeigt die demografische Entwicklung auf einen radikalen Wandel an der Arbeitswelt hin, weil in den kommenden Jahren weniger erwerbstätige Arbeitnehmer am Markt nachrücken. Das bedeutet: gute ausgebildete Arbeitnehmer werden rar, was die Verhandlungsposition mit den Unternehmen verändert. Die Unternehmen werden sich in Zukunft also um gut ausgebildete Fachkräfte bemühen müssen. Dabei werden attraktive Work-Life-Balance-Modelle der Firmen durchaus eine große Rolle spielen. Weniger Arbeiten, höhere Lebensqualität. Eine weitere Veränderung, die sich bei jungen Arbeitnehmern abzeichnet: die Abkehr vom klassischen Karrieredenken. Im Vordergrund stehen nicht mehr hohes Gehalt und steile Karriereleiter, sondern Aspekte wie die Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder ob im Unternehmen Umweltschutz und Sozialstandards eingehalten werden. Viele junge Menschen haben bei ihren (oftmals geschiedenen) Eltern nur allzu deutlich gesehen, dass Dauereinsatz und Stress im Beruf zu Schwierigkeiten im Privatleben führt. Ihr Credo: lieber weniger Arbeiten (30 – 35 Stunden) und Gehaltseinbußen in Kauf nehmen, dafür Lebensqualität und mehr Freizeit mit Freunden und Familie gewinnen. Faule Bienen als Vorbild. Die kommende Generation scheint mehr vom Leben zu erwarten als den nächsten Gehaltssprung. Auch scheint es für junge Menschen nicht erstrebenswert zu sein, so viel zu arbeiten, zu verdienen und zu konsumieren, wenn schon heute klar ersichtlich ist, dass dieses System an allen Ecken und Enden knirscht. Übrigens: auch die vermeintlich „fleißigen Bienen“ arbeiten nur 30 Prozent des Tages, schlafen viel und pflegen den Müßiggang, weiß der Neurobiologe Randolf Menzel zu berichten. Weniger, dafür effektiver arbeiten – wir könnten uns an den Bienen ein Vorbild nehmen… Dieser Artikel ist in gekürzter Version im Magazin FLOW Nr. 7 erschienen Die Illustrationen stammen von der Website www.mrprintables.com. Die ursprünglich für Kinder gestalteten Ideen und kostenlosen pdf-Druckvorlagen, bieten auch für Erwachsene herrlich kreative Anregungen. Mehr Lebensfreude – zum Ausdrucken… Helmut Wolf
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