IT-Doktoren und Arbeitssuchende? Künstliche Intelligenz, die sozialen Mehrwert erzeugt? Beim Technologieunternehmen Kapsch läuft ein besonderes Projekt, das Vorbild für andere Firmen sein könnte. Ein Gespräch über gewonnene Perspektiven und Technik, die Menschen weiter hilft… „Wir haben hier etwas Neues, das Abwechslung in den täglichen Arbeitsablauf bringt - ist das nicht toll?“ Daraufhin antwortet der Mitarbeiter: „Wissen sie, ich bin Asperger-Autist und mag keine Abwechslung“. Für Markus Wurm, Vice President Technology Innovation & Architecture bei Kapsch TrafficCom, ist diese kleine Anekdote ein gutes Beispiel für die Herausforderungen des Projekts, das sich durch einen grundlegenden Aspekt hervorhebt: Hier finden Menschen aus sozial und kulturell unterschiedlichsten Lebenswelten zusammen. Arbeitssuchende oder Menschen mit Einschränkungen treffen auf High-End-Technik-spezialisten, um gemeinsam Werte zu schaffen? Ein Projekt, das es in dieser Form noch nicht gegeben hat und „für ein Technologieunternehmen nicht üblich ist“, wie es Wurm umschreibt. Wie so oft entstehen die besten Ideen – zufällig. Und oftmals beim Reden. Als Markus Wurm, Vater eines vierjährigen Sohnes, Anfang dieses Jahres mit seiner im Sozialbereich tätigen Nachbarin und ihren beiden Kindern spazieren geht, kann er noch nicht erahnen, dass ein paar Monate später bei Kapsch sozial und physisch beeinträchtigte Menschen ihre Räumlichkeiten beziehen und gemeinsam mit dem „Annotation-Team“ an der „Künstlichen Intelligenz“ (KI) im Verkehrs- und Mobilitätsbereich mitwirken. Klar war bei diesem Spaziergang nur die Erkenntnis, dass es für Jugendliche und junge Erwachsene immer schwieriger wird, am Arbeitsmarkt Fuß zu fassen - besonders für Menschen mit Einschränkungen. „Ein paar Tage später habe ich bei unserem CEO Georg Kapsch angeklopft und gefragt, ob ich dieses Projekt initiieren kann. Hr. Kapsch hat sofort zugesagt und ist bis heute ein großer Unterstützer“, erzählt Wurm. Im April 2019 startete man schließlich: Acht Wochen dauert ein Praktikum für die jungen Menschen mit unterschiedlichsten, teils schwierigen Biografien. Gemeinsam mit Mitarbeiterin Beate Fabian werden die „Quereinsteiger“ im täglichen Arbeitsprozess des Annotations-Teams betreut und unterstützt. „Es gibt keine speziellen Regeln beim Umgang mit den Menschen. Wir haben einfach viel ausprobiert“, sagt Fabian über die Herangehensweise. „Und wenn es mit meinen Mitteln nicht funktioniert, dann greife ich auf die Erfahrung der Job-Coaches zurück“. Vor allem organisatorisch sei es wichtig, dass es eine Ansprechperson gibt. Die Motivation dieser Mitarbeiter sei jedenfalls sehr hoch, freut sich Fabian. Die Vorauswahl für die entsprechenden Mitarbeiter werden bei den beiden Partnerinstitutionen „In.Come“ und WUK getroffen. Zwei soziale Trägerorganisationen, die schon seit Jahren zusammenarbeiten und versuchen, Jugendliche und junge Erwachsene mit Einschränkungen inklusive Teilhabe am Arbeitsmarkt zu ermöglichen. „Das Ausprobieren ist bei diesem Projekt ein wichtiger Punkt“, sagt Martin Hartl vom Team Jugendarbeitsassistenz bei In.Come. „Alle Beteiligten haben hier neue Wege eingeschlagen. Für uns stellt sich dabei immer die Frage: Welche Leute schicken wir zu Kapsch? Bringen sie die Qualifikationen mit? Und: Sind sie zuverlässig?“ Die Bandbreite der Beeinträchtigungen potentieller Mitarbeiter ist breitgefächert, sagt Hartl. Das reicht von Menschen im Rollstuhl und jenen mit Autismus bis hin zu sozial benachteiligten Menschen. „Menschen mit autistischer Wahrnehmung stehen ja im Zentrum der Berichterstattung, wenn es um technische oder zahlenbasierte Berufe geht“, sagt Andreas Keplinger vom Arbeitsassistenz-Team beim Werkstätten und Kulturhaus „WUK“. Deshalb passt dieses Projekt so gut, weil Autisten eine Affinität haben, sehr konzentriert zu arbeiten.“ Aber nicht nur Autisten, auch andere Menschen suchen nach dem „Gaming-Effekt“, schmunzelt Keplinger. Wie bei In.Come wird auch bei den Klienten im WUK ausgelotet, welche „Kandidaten“ für dieses Projekt geeignet sein könnten. „Das hat sich recht gut eingespielt“, so Keplinger. Klar, habe es Leute gegeben, die schon nach einem Tag gesagt haben, das sei ihnen zu fad. Dennoch ist die Ausfallrate überaus gering und liegt nur bei rund 20 %. „Am Anfang dieses Projekts hat es natürlich einen Biotop-Clash gegeben“, lacht Markus Wurm als Projekt-Leiter bei Kapsch. Die Parameter liegen bei sozial orientierten Organisationen eben woanders, als bei einem Technikunternehmen. „Als Techniker hat man den Auftrag Innovation und Wert zu kreieren – und das rasch und effizient. Bei diesem Projekt darf man den Fokus aber weniger auf Effizienz legen. Alleine schon wegen der Formalitäten und Bürokratie“, sagt Wurm. Das „große Ganze“ stehe im Vordergrund. „Wir haben einen anderen Zugang zu Geschwindigkeit und Umsetzung von Dingen“, erläutert Hartl seine Sichtweise. „Bei uns geht es eher darum, dass sich der einzelne Mensch wohlfühlt und seinen Platz in der Gesellschaft findet. Der Sozialbereich ist eine andere Welt als die effizienz-gesteuerte Wirtschaft, ergänzt Andreas Kepplinger vom WUK: „Deshalb ist es Kapsch hoch anzurechnen, dass sie diesen Arbeits- und Ressourcenaufwand auf sich genommen haben“. Wie erklärt man „Annotation“? „Es gibt zwei Annotation-Arbeitsschritte“, sagt Beate Fabian. Erstens: Erkenne das festgelegte, fokussierte Objekt – also Auto, LKW, Fahrrad, Fußgänger usw., und zeige an, wo sich dieses Objekt befindet. Und zweitens: Definiere zu welcher Kategorie dieses Objekt zählt, also Fahrzeugklasse, Länder-Kennzeichnen usw. Eines der schönsten Erlebnisse für Wurm war jene Aussage eines Mitarbeiters, der erzählt hat, dass erst durch seine Tätigkeit, die er der künstlichen Intelligenz „antrainiert“, all die KI-Funktionen ermöglicht werden. „Diese sinnstiftende Tätigkeit macht etwas mit Menschen“, sagt Wurm. „Die Mitarbeiter merken einfach, dass hier Wertschöpfung entsteht und sie dafür notwendig sind“. Wie lautet die Zielsetzung? „Annotation ist ein Mega-Trend der Gesellschaft. Gerade weil KI am explodieren ist“, zeigt sich Markus Wurm überzeugt. Wichtig war von Beginn an, dass hier zwar keine Gewinne abgeworfen werden, aber das Projekt selbsterhaltend ist. „Von Beginn wurde klar kommuniziert, dass alles wirtschaftlich ablaufen muss. Deshalb bin ich extrem stolz auf unsere Leute, dass sie nicht nur menschlich, sondern auch mit ihren Leistungen überzeugen können“, freut sich In.Come-Projektleiter Martin Hartl. Bei Kapsch wird dieser Bereich jedenfalls strukturell ausgeweitet. Wurm sieht die „magische Schranke“ bei rund 30 Mitarbeitern. Wichtig wäre jedoch, das langwierige, aufreibende Bürokratie-Prozedere deutlich zu vereinfachen und eine nachhaltige Förderstruktur aufzubauen. Hier sei vor allem das Sozialministerium gefragt... Ein Gewinn und Mehrwert auf verschiedenen Ebenen. So lässt sich das bisherige Fazit zusammenfassen. „Wir merken die positive Entwicklung bei unseren Klienten“, sagt Martin Hartl. „Gerade im Hinblick auf Selbstbewusstsein, Auftreten und Gewinn neuer Perspektiven“. Besonders die Erkenntnis, auch mit Schwächen reüssieren zu können, sei eine tolle Erfahrung. Diese Perspektive sei enorm wichtig, pflichtet auch Beate Fabian bei: „Die Mitarbeiter können hier alles nutzen, aber sie müssen dafür auch etwas tun“. „Gerade, wenn von einer inklusiven Gesellschaft gesprochen wird, sollte es doch so sein, dass alle Menschen die gleichen Chancen haben“, sagt Andreas Keplinger abschließend: „In dieser Welt ist es eben nicht normal, solch ein Projekt zu initiieren. Deshalb ist es so wichtig, dass sich ein Unternehmen wie Kapsch auf dieses Projekt eingelassen hat, damit es normal wird.“ Wenn das „Unnormale“ zum Normalen in der Welt wird? Auch eine Form der Innovation, an der sich andere Unternehmen ein Beispiel nehmen sollten... DIE BISHERIGE ERFOLGSSTATISTIK... ...dieses Projekts kann sich sehen lassen: Seit April 2019 haben insgesamt 24 Menschen bei den Arbeitstrainings teilgenommen: Aktuell sind 8 junge Erwachsene der Jugendarbeitsassistenz bei Kapsch tätig - 3 im Arbeits-training, 5 in Beschäftigung. Von den 16 Abschlüssen bisher, hat genau die Hälfte der Teilnehmer das Arbeitstraining positiv absolviert. Die andere Hälfte hat vorzeitig beendet bzw. sind zwei Kandidaten dann doch nicht angetreten. Gefördert wird die Arbeitsassistenz vom Sozialministeriumservice. Web-Tipps: www.kapsch.net www.in-come.at www.wuk.at Titel-Foto: Andreas Keplinger, Martin Hartl, Beate Fabian, Markus Wurm (v.l.n.r) Fotos: Oleksy Ohurtsov, Eluj, S. Hermann & F. Richter / Pixabay; Flo Dahm, Hitesh Choudhary, Start up, Canva Studio, Joey Lu, Matan Segev, Markus Spiske / Pexels Text: Helmut Wolf
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