99,99 sichere Stromversorgung! Österreich gilt hier weltweit als Spitzenreiter. Klaus Kaschnitz, Betriebsdirektor bei der „Austria Power Grid“ (APG), im Interview über Versorgungssicherheit, Schutz vor „Blackouts“ und was es alles dazu braucht... Lieber Herr Kaschnitz, die wenigsten Menschen machen sich Gedanken über die Stromversorgung. Strom immer zu bekommen gilt als „Normalzustand“. Was braucht es, um diesen „Normalzustand“ aufrecht zu erhalten? Das stimmt. Strom ist ein ganz besonderes Produkt. Denn, so wenig man ihn sieht, so scheinbar selbstverständlich ist es mittlerweile, dass er jederzeit verfügbar ist. Doch der Weg des Stroms vom Kraftwerk zum Kunden ist unglaublich komplex - und aufwendig. Stromerzeugung und Stromverbrauch müssen zu jeder Zeit im Einklang stehen. Ist das nicht der Fall, wird das System instabil und die Netzfrequenz weicht bereits in wenigen Sekunden vom Sollwert 50 Hertz ab. Eine der Aufgaben der Austrian Power Grid AG (APG) ist es, durch Einsatz von Regelenergie genau für diese Stabilität, diesen Ausgleich zu sorgen – eine steigende Herausforderung mit Zunahme stark schwankender Erzeugungseinheiten wie Windkraft und Fotovoltaik. Zudem braucht es ein leistungsfähiges Stromnetz, um die elektrische Energie von einem zum anderen Ort transportieren zu können. Dies gilt insbesondere dann, wenn neue Kraftwerke wie Windkraftanlagen nicht dort gebaut werden, wo der Strom benötigt wird. Bei einem starken Windaufkommen muss beispielsweise überschüssige Energie aus den windreichen Gegenden im Osten Österreichs zu den Verbrauchsschwerpunkten abtransportiert werden. Anfang des Jahres hat es ein „Beinahe-Blackout“ in Europa gegeben. Die Netzfrequenz sackte in weniger als zwei Minuten ab. Trotzdem haben die Automatismen funktioniert. Was braucht es, um weiterhin Stabilität zu gewährleisten? An dem von Ihnen angesprochenen Tag ist es zu einem europäischen Frequenzabfall gekommen, weil für kurze Zeit zu wenig Energie zur Lastdeckung erzeugt wurde. Reichen die hierfür vorgesehenen Regelreserven zum Ausgleich des Ungleichgewichts nicht mehr aus, muss zusätzlich „Last“ abgeworfen werden, um die Frequenz stabilisieren zu können. Dieser Lastabwurf kommt nur sehr selten vor, erfolgt automatisch und kann gewissermaßen als Schutzmechanismus zur Abwehr von großflächigen Blackouts betrachtet werden. Dazu gibt es auch ein auf europäischer Ebene abgestimmtes Regelwerk, welches sich an diesem Tag letztendlich voll bewährt hat. Die Frequenz konnte bereits nach wenigen Sekunden wieder stabilisiert werden. Der Fall im Jänner hat gezeigt, dass zum einen die jahrelange, intensive europäische Zusammenarbeit der Übertragungsnetzbetreiber bei der Entwicklung von Betriebskonzepten den richtigen Weg gegangen ist, zum anderen können wir durch die Analyse solcher Zwischenfälle wichtige Erkenntnisse für die zukünftige Weiterentwicklung derselben gewinnen. Eine sichere Netzinfrastruktur ist die Basis einer stabilen Stromversorgung. Was braucht es, um auch in Zukunft den Anforderungen zu entsprechen? Wir müssen es schaffen, das Strom-Übertragungsnetz zeitgerecht auszubauen. Gelingt das nicht, stößt das System an seine Grenzen und die Potenziale bei den erneuerbaren Energien können nicht voll ausgeschöpft werden. Auch in Österreich waren bereits erste Abschaltungen von Windkraftanlagen aufgrund unzureichender Transportkapazitäten notwendig. Andererseits werden ohne Netzausbau unverändert lokale, thermische Kraftwerke als Backup benötigt. Beispielsweise, wenn der Erneuerbaren-Strom aus dem Ausland nicht importiert werden kann. Ein Beispiel, um die Dimensionen zu veranschaulichen: Zur Beseitigung von Netzengpässen musste die APG im Jahr 2017 an 301 Tagen umfassende „Notmaßnahmen“, u.a. das Anfahren von thermischen Kraftwerken, veranlassen. Der Ausbau des Stromübertragungsnetzes muss also mit dem Ausbau der erneuerbaren Energien Schritt halten können. Dazu bedarf es jedoch einer deutlichen Beschleunigung der Verfahren zur Erweiterung des Übertragungsnetzes. Österreich gilt als europäischer Spitzenreiter in Sachen Strom-Versorgungssicherheit. Was gelingt in Österreich besser als in anderen Ländern? Ja, und darauf können wir stolz sein! Die österreichische Stromversorgung gehört mit einer Verfügbarkeit von mehr als 99,99 Prozent zu den sichersten der Welt. Das ist einerseits das Ergebnis vorausschauender Netzplanung bzw. kontinuierlicher Instandhaltung und Netzerweiterung. Andererseits haben wir hohe Standards im Netzbetrieb und wir investieren viel in die Aus- und Weiterbildung unserer Mitarbeiter. Dazu gehören auch intensive Trainings, in denen unterschiedliche kritische Netzsituationen „beübt“ werden. Dieser hohe Verfügbarkeitsgrad ist also nicht zuletzt dem unermüdlichen Einsatz und der hohen Qualifikation unserer Kolleginnen und Kollegen geschuldet. Das ist aber kein Ruhekissen, sondern eine Wegmarke. Denn der Energiemix der Zukunft stellt uns vor neue Herausforderungen, wenn es um die Versorgungssicherheit geht. Nicht zuletzt deshalb, da Erzeugung und Verbrauch sowohl zeitlich als auch örtlich auseinanderdriften. Schon drei Viertel der Stromerzeugung in der Alpenrepublik stammt aus erneuerbaren Energiequellen. Inwieweit spielen die „Erneuerbaren“ eine Rolle bei der Versorgungssicherheit? Österreich ist in der glücklichen Lage einen traditionell hohen Anteil an erneuerbaren Energien bei der Stromerzeugung zu haben. Aufgrund unserer geografischen Lage trägt alleine die Wasserkraft mit rund 60 Prozent zur sicheren Stromerzeugung bei. Windkraft und Photovoltaik sind stark schwankende Produktionsformen, die das Gesamtsystem in Zukunft noch viel stärker fordern werden. Eine Studie des renommierten Beratungsunternehmens „Energy Brainpool“ bestätigt, dass es unter Annahme einer installierten Leistung von 9 GW Wind und 12 GW Photovoltaik im Jahr 2030 – zu massiven wetterbedingten Schwankungen der Einspeiseleistung kommt - nicht nur in einzelnen Stunden, sondern auch über Wochen hinweg. Je nach Wetterjahr schwankt zum Beispiel die mittlere monatliche Winderzeugung im Februar 2030 zwischen 1,3 und 3,7 GW. Das sind gewaltige Dimensionen. Wir sprechen hier von Schwankungsbreiten von 2,4 GW, das ist in etwa die Leistung aller österreichischen Wasserkraftwerke an der Donau, die dann beispielsweise durch steuerbare Anlagen, Speicher oder Importe bzw. Exporte über einen Monat hinweg kompensiert werden müssen. Hier spielt das Übertragungsnetz eine entscheidende Rolle: weil es dafür sorgt, dass die zeitliche Harmonisierung von Stromangebot und -nachfrage sichergestellt werden kann. Bis 2030 soll 100 % des benötigten Stroms in Österreich aus „versorgungssicheren“, erneuerbaren Energien stammen. Wie kann das gelingen? Das Wichtigste bei diesem Totalumbau des Energiesystems ist: nicht den Blick für das Ganze zu verlieren. Wir unterstützen die politischen Ziele in vollem Umfang. Es müssen jedoch die Maßnahmen und die Tempi harmonisiert werden. Dreh- und Angelpunkt bei der erfolgreichen Realisierung eines klimafreundlichen Energiesystems, wird ein leistungsfähiges Stromübertragungsnetz sein, das es ermöglicht, die Potenziale der erneuerbaren Energien in vollem Umfang zu nutzen. Darüber hinaus wird es nötig sein, die Speicherung zu forcieren, vor allem zur Überbrückung saisonaler Schwankungen. Hier könnte die „Sektorkopplung“ (Power to Heat, Power to Gas, etc.) eine wichtige Rolle spielen. Vielen Dank für das interessante Gespräch! Austrian Power Grid AG (APG) 6.800 km Leitungen, 3.500 km Trassen, 100.000 jährlich abgewickelte Stromfahrpläne: Die APG ist Österreichs unabhängiger Übertragungsnetzbetreiber. Mit einem Team von 450 Spezialistinnen und Spezialisten - und in enger Zusammenarbeit mit den Verteilnetzbetreibern - wird dafür gesorgt, dass die Republik Österreich rund um die Uhr, 365 Tage im Jahr, mit lebensnotwendigem Strom versorgt wird. www.apg.at Web-Tipp: www.verbund.com Interview: Helmut Wolf
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