Fühlen und tasten ist wichtiger für unser (Über-)Leben, als sehen, hören, riechen und schmecken. Der deutsche Haptik-Forscher Martin Grunwald bezeichnet den Tastsinn als „Lebensmittel“. Berührung als Quelle des Glücks und der Heilung... „Wir denken uns nicht selbst, wir fühlen uns...“ Martin Grunwald Sich an die Stirn fassen, übers Kinn streichen, Gedankenverloren die eigene Wange berühren... An die 800 Mal pro Tag finden diese „Selbstberührungen“ beim Menschen statt. Und diese helfen uns lebendig und handlungsfähig zu bleiben. Spannende Erkenntnisse, die der deutsche Forscher Martin Grunwald in seinen neuesten wissenschaftlichen Analysen festgestellt hat. Gerade um das Arbeitsgedächtnis aufrecht zu erhalten, sind Selbstberührungen wichtig, aber auch um „überschießende Emotionen“ zu regulieren. „Eine kurze Umarmung, ein Händedruck, vermitteln auf die schnellste Weise, was man meint“, unterstreicht Grunwald die Wichtigkeit des Körperkontakts im Alltag. „Unser Tastsinn ist das wichtigste Sinnessystem des Menschen“, sagt der international renommierte Pionier der Haptik-Forschung Martin Grunwald. Der Deutsche gründete 1996 das „Haptik-Labor“ am Paul-Flechsig-Institut für Hirnforschung an der Universität Leipzig. Dabei erläutert er anhand vieler Beispiele, wie faszinierend die Millionen Berührungs- und Bewegungsmelder zusammenwirken, die unseren Tastsinn ausmachen: warum eine Umarmung mehr tröstet als tausend Worte, warum Massagen und Spaziergänge gegen Depression und Angst helfen, und warum wir mit warmen Händen bessere Chancen bei einem Bewerbungsgespräch haben... Verzerrte Wahrnehmung des Körpers. Ursprung seiner Forschungstätigkeiten zum Tastsinn war übrigens Grunwalds Doktorarbeit vor über 20 Jahren. Dabei hat er über die „Vorstellungskraft des Menschen“ geforscht und (zufällig) herausgefunden, dass magersüchtige Menschen eine sehr verzerrte Wahrnehmung ihres Körpers haben: dies sei auf einer Fehlfunktion jenes Teils des Gehirns zurückzuführen, der die sensorischen Reize verarbeitet. Mit dieser Erkenntnis war nicht nur Grunwalds Faszination über den Tastsinn geweckt, sondern schien der Beweis erbracht: mit dem Tastsinn entwickelt sich gewissermaßen das Bild des Menschen von sich selbst... Der Tastsinn ist die „köpereigene Messstruktur“. Sie hilft uns nicht nur mit den Fingerkuppen den Anfang eines Klebebands zu suchen, sondern auch physikalische Eigenschaften der Umwelt zu „erfühlen“: weich oder hart, heiß oder kalt... In Grunwalds neuestem Buch „Homo hapticus“, zeigt sich der Wissenschaftler auch noch nach 25 Forschungsjahren begeistert von den „überragenden Leistungen des Tastsinns“. Durch den Tastsinn könne sich der Mensch jederzeit seiner körperlicher Existenz bewusst sein. Motto: ich fühle, also bin ich... Haut übersetzt Berührungen in Gefühle. Die Haut ist mit 2 m2 unser größtes Sinnesorgan. Diese übersetzt Berührungen - mit Hilfe des Gehirns - in Gefühle. Der Tastsinn macht uns sozusagen zu fühlenden Lebewesen. Nur mit seiner Hilfe können wir auch schlucken und atmen. Der Forscher bezeichnet entsprechend den Tastsinn als eine Art „Lebensmittel“, ohne das beispielsweise Babys nicht überleben würden. Berührung ist vom Kleinkind bis ins hohe Alter nicht nur eine Quelle des Glücks, sondern auch heilsam: „Wir sind Säugetiere, gerade im Bezug auf den Tastsinn“, sagt Grunwald. „Und ein Säugetier kann sich nur optimal entwickeln, wenn ein bestimmtes Quantum an Körperstimulation und Körperreizen stattfindet“. Fehlt diese körperliche Stimulation, dann finden gewisse Reifungs-prozesse im Gehirn und auf körperlicher Ebene nicht statt. Dann degeneriert dieser Organismus oder – im schlimmsten Fall – versterben Organismen... Fühlen und tasten ist viel wichtiger für unser Überleben, als sehen, hören, riechen und schmecken“, sagt Martin Grunwald. Kindliches Wachstum und psychische Stabilität sei ebenso abhängig von ausreichenden Körperberührungen, wie das gute Miteinander von Liebes- und Lebenspartnern. Jeder Lebensbereich eines jeden Menschen wird täglich durch das stille Wirken des Tastsinnessystems geprägt. Grunwald macht auch deutlich, wie raffiniert unser Urteil durch die Haptik von Produkten manipuliert werden kann - und warnt vor einer Welt voller Touchscreens: „denn mit ihnen lässt sich unsere Welt von Kindern nicht be-greifen...“ Erst wer spürt, lebt und „begreift“... Buch-Tipp: Homo hapticus - Warum wir ohne Tastsinn nicht leben können Umfang: 304 Seiten Autor: Martin Grunwald Erschienen bei: Verlag Droemer HC Fotos: benjaminpatchphotography.com (Titel), Margarete Case, 100layercakelet.com, Elite Daily, vueloliebrevuelodespierta.blogspot, Quellen: Ö1, Verlag Droemer Text: Helmut Wolf
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