Familie und Beruf. Frauen unter Mehrfachbelastung... Wie verändern sich derzeit Rollenbilder? Und: wo liegen die Chancen? Wir haben mit Sabine Hackl, Ricky Losmann-Hartl und Sigrid Koloo von „ONtime“, einem Start-up mit Schwerpunkt „Veränderungsvorhaben, digitale Vernetzung, Coaching und Nachhaltigkeit“ gesprochen... In eurem Programm schreibt ihr, dass Frauen in der Coronakrise stärker benachteiligt waren. Wodurch macht sich das bemerkbar? Sabine Hackl: Dafür gibt es viele Indizien und Berichte. Wir haben es auch im unmittelbaren Freundeskreis erlebt, dass Frauen – neben ihrem Job – auch das Home-Schooling verstärkt übernommen haben. Diese Mehrfachbelastung hat viele an ihre Grenzen gebracht. Die Scheidungsraten steigen. Schlussendlich arbeiten viele Frauen in systemrelevanten Berufen, auch hier ist die Belastung enorm. Ricky Losmann-Hartl: …stärker benachteiligt im Kontext Familie! Es waren schon vor den Covid-19-Maßnahmen drei Viertel der Familien sehr traditionell geprägt. Das heißt: Es gibt einen Vater, der Vollzeit arbeitet und eine Mutter in beruflicher Teilzeit, die die Familienangelegenheiten managet. Eine Forschungsaufgabe der WU hat aufgezeigt, dass bei gleichem, zeitlichen Erwerbsaufwand Mütter mehr als doppelt so häufig viel mehr Zeit mit Kinderbetreuung verbringen als Väter – das lässt unter Experten die Schlussfolgerung zu, dass Mütter ihre Arbeitszeit stärker an Familienbedürfnisse anpassen (müssen). Außerhalb der Familie konnten Frauen während des Lockdowns durchaus in Videokonferenzen punkten – durch die stärkere Netiquette und die Notwendigkeit einer stärkeren Moderation während der Meetings, kamen Frauen oft deutlicher zu Wort und fanden vermehrt Gehör. Sigrid Koloo (Foto): In Krisen zeigt sich die „Flucht“ in altbekannte, eher konservative Rollenbilder. Dass es auch anders geht, konnte ich in den letzten Monaten erleben: Beide Elternteile haben von zu Hause ausgearbeitet, sich Familienzeit, Arbeitszeit, Haushalt und „Me-Time“ aufgeteilt. Da wir beide unternehmerisch tätig sind, können wir uns die Zeit auch selbst einteilen. So war es mir möglich, mit Kleinkind durchgehend von zu Hause aus gut zu arbeiten, ein neues Unternehmen zu gründen und aufzubauen, so ganz neben meinen bestehenden Projekten. Dafür bin ich sehr dankbar. Glaubt ihr, dass sich durch solche Krisen wie in den letzten Monaten wieder verstärkt alte konservative Rollenbilder einschleichen? Sabine Hackl: Teilweise ja – der Manager des Haushalts und der Familie ist halt oft noch die Frau. Andererseits gab es erst vor kurzem Beiträge in Medien, dass besonders in jenen Staaten, die Frauen an der Regierungsspitze haben, die Situation rund um die Covid-Pandemie „besser“ gehandhabt wird. Ähnliche Feststellungen und auch Studien gab es nach der Finanzkrise vor rund 10 Jahren: Frauen scheinen offensichtlich gute Krisenmanagerinnen zu sein. Ricky Losmann-Hartl: Krise bedeutet oft auch auf Strategien zurückzugreifen, die sich schon einmal bewährt haben und für Sicherheit sorgen – dieser Vorgang läuft unterbewusst ab. Ich wage zu behaupten, dass wir auch vor der Pandemie bereits konservative Rollenbilder im Kopf hatten – es gibt nur vielmehr Menschen, die aus diesen Rollenklischees herausgewachsen sind und dennoch mit den Zuschreibungen zu kämpfen haben. Aber dass wir jetzt darüber sprechen können, ist vielleicht der momentanen Situation zu verdanken ;) Sigrid Koloo: Bei all den Herausforderungen und persönlichen Schicksalsschlägen, die Corona gebracht hat, sehe ich dennoch auch die Chance, Rollenbilder und Klischees zu hinterfragen, zu überlegen: Was ist denn ein „Normalzustand“, sich selbst und die eigene Haltung zu beobachten und zu überlegen, wie wir unsere Zukunft sowie jene der Kinder und Enkelkinder mitgestalten wollen und können. Um Rollenbilder aufzubrechen und eine freie individuelle Wahl treffen zu können, müssen Gegebenheiten und Möglichkeiten für Frauen sowie für Männer fair und ausgeglichen sein. Wo liegen hier noch die größten Hindernisse, die dies verhindern? Sabine Hackl: Zum Teil ist es noch immer eine gesamtgesellschaftliche Haltung. Wir sind die Bilder von männlichen Führungspersonen in Wirtschaft und Politik gewöhnt. Frauen sollten sich stärker zusammenschließen, um gemeinsam und solidarisch solche Hindernisse zu überwinden. Es ist notwendig, weibliche Erfolgsgeschichten stärker hervorzuheben, bis es nichts Besonderes mehr, sondern Teil unseres Alltags ist. Aber auch das männliche Rollenbild hat Recht auf Veränderung. Mittlerweile gibt es Beratung und Schulungen für Männer in Bereichen, die meist noch immer als Frauen-Domänen gelten – wie Karenz oder Kindererziehung. Das wichtigste ist - Rollenbilder immer zu hinterfragen, in Kontext zu bringen und nicht in Stein zu meißeln. Und schlussendlich: den gegenseitigen Respekt und Wertschätzung für diverse Rollenbilder zu wahren! Ricky Losmann-Hartl (Foto): Dadurch, dass Rollenbilder tiefenkulturellen Ursprüngen folgen und nicht bewusst kreiert, sondern aus gesellschaftlichen Normen und Strukturen entsprungen sind, liegt eines der größten Hindernisse daran, die geprägten Bilder loszulassen und Veränderung bzw. Erweiterung dieser Rollenbilder zuzulassen. Und zwar in den Köpfen von jedem von uns. Das kann Unsicherheit hervorrufen - und deswegen tun wir es vielleicht nicht. Menschen, die es schaffen, sich diesen langeingesessenen Rollenbildern zu widersetzen, haben einen großen Mut bewiesen. Solche Menschen brauchen wir, damit sich etwas verändern kann: Menschen, die über ihre Motive sprechen, über Möglichkeiten, über Chancen, die empathisch mit den Befürchtungen, die „Anders-Agieren“ verursachen kann, umgehen und Menschen, die offen sind zuzuhören, einen neuen Blickwinkel zu entdecken, die neugierig genug sind, auch einmal eine andere Perspektive einzunehmen. Sigrid Koloo: Ich bin überzeugt, dass 50:50 möglich ist. Ich versuche es zu leben und habe auch die Möglichkeiten dafür selbst geschaffen. Dafür sind meiner Meinung nach viel mehr Inspirationen notwendig, mutmachende Vorbilder an vorderster Front und die Bereitschaft ein „anders“ und „neu“ zuzulassen und sich zu trauen, „Normalität“ neugierig zu verlassen. Gleichzeitig braucht es auch jene, die einen Teil ihrer Privilegien im Sinne des Gemeinwohls bereitstellen, auch zur Seite treten, „Macht“ abgeben und sich auf Veränderung einzulassen. Angenommen Frauen würden gleich viel verdienen wie Männer und würden im gleichen Maße berufliche Spitzenpositionen besetzen. Wäre die Situation dann anders? Würde sich dadurch wirklich etwas am familiären Rollenbild der Frau innerhalb der Familie ändern? Sabine Hackl (Foto): Ja, junge Frauen hätten dann Vorbilder in Spitzenpositionen, denen sie nachstreben können. Die Frauen wären finanziell unabhängiger. Wer soll in Karenz gehen – selten der Mann, weil er schlichtweg besser verdient. Der Mann sollte auch das Recht (und auch die Pflicht) haben, Vater sein zu dürfen und nicht nur zu versorgen. Und zum Thema Bezahlung: gleicher Verdienst für gleiche Leistung! Das sollte im Grunde gar nichts mit dem Geschlecht zu tun haben! Ricky Losmann-Hartl: Das ist doch ein schöner Gedanke, oder? Was würden wir über berufliche Rollen gelernt haben, wenn Frauen und Männer das gleiche verdienten? Was für ein Gefühl wäre das, wenn geschlechtsunabhängig die Person die Spitzenposition bekäme, die am besten dafür geeignet ist? Wenn das so wäre, vielleicht müssten wir dann gar nicht mehr über das Bild der Frau innerhalb der Familie diskutieren und könnten uns der Frage widmen wie die Elternrolle innerhalb der Familie gesehen werden kann? Sigrid Koloo: Was wäre wenn … ein schönes Gedankenspiel… ich würde es sehr gerne ausprobieren und erleben in einer gleichberechtigten Welt zu leben. Vielen Dank für das interessante Gespräch! „Mensch.Macht.Rollenbild“ DIE ZUKUNFT DER GESELLSCHAFT Am 25. September 2020 findet die erste „ONtime-Konferenz“ zum Thema „Mensch.Macht.Rollenbild“ in Wien statt. Ein Event, das den Anfang eines Prozesses einläutet, der Menschen aus Unternehmen, Wissenschaft und Beratung an einen virtuellen Tisch bringt, um alteingesessene Strukturen aufzubrechen und Zukunft aktiv zu gestaltet. Mit Keynotes, Paneldiskussion, Workshops und anschließenden interaktiven Netzwerken sollen Fragen wie „Wo stehen wir - und wo soll die Reise hingehen?“ beantwortet werden. In weiteren Events sollen spezielle Themen im Bereich Rollenbilder im beruflichen Kontext erarbeitet werden, um nachhaltige Strategien zu entwickeln, wie Veränderung erfolgreich gelingen kann. Web-Tipp: https://beontime.at/mensch-macht-rollenbild Fotos: Pexels (Titel), Unsplash, Johann Bävman Interview: Sarah Langoth
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