Die Corona-Pandemie als Chance für einen Neustart zu einer „partnerschaftlichen Wirtschaft“? Einer Ökonomie, die auf „Fürsorge von Mensch und Umwelt“ basiert? „Caring Economy“ nennt US-Wissenschaftlerin Riane Eisler jene Wirtschaftsform, deren Ziel „ein gutes Leben für alle“ ist. Ein Modell der Hoffnung... „Irritation ist die Mutter der Innovation“. So hat es der Unternehmer und ehemalige Politiker Matthias Strolz vor kurzem umschrieben. Die Corona-Krise - sie ist mit Sicherheit die größte Irritation seit dem 2. Weltkrieg. Gleichzeitig ist sie aber auch eine große Chance, um einen Reset, sprich „Neustart“ der (Welt-)Wirtschaft einzuleiten. Kein Unternehmen kann einfach durchtauchen, um weiterzumachen wie bisher: Vom Energiesektor bis zur Mobilität, von der Bauwirtschaft bis zum Lebensmittel- und Bekleidungshandel - sämtliche Branchen, Konzerne und Unternehmen müssen sich ein Stück neu erfinden, um zukunftsfähig zu bleiben. Möglicherweise muss die Wirtschaft generell neu erdacht werden... 115 Millionen Menschen durch Covid-19 bald in extremer Armut? So hoch könnte die Anzahl jener Menschen ansteigen, die laut Weltbank durch die aktuellen Entwicklungen ihr Hab und Gut verlieren. Auf der anderen Seite wächst das Vermögen der reichen und superreichen Eliten weiter an. Chema Vera von der globalen NGO Oxfam umschreibt es am Beispiel Lateinamerikas: „Während alle anderen in Quarantäne sind, zu überleben versuchen und Angst haben, sich anzustecken, haben die Milliardäre Lateinamerikas ihr Vermögen um insgesamt 413 Millionen Dollar „jeden Tag“ seit Beginn der Pandemie gesteigert“. Das Coronavirus zeigt nicht nur die Schwächen globaler Wirtschaftsmechanismen auf, sondern das überbordende Ungleichgewicht zwischen Arm und Reich… „Wir können die Spielregeln ändern“, davon ist US-Wissenschaftlerin Riane Eisler überzeugt. Die Pandemie könnte ein Anlass zum Neubeginn von Wirtschaft und bisheriger normativer Regeln sein. Eisler ist weltweit anerkannte Keynote-Speakerin auf Konferenzen und als Beraterin von internationalen Unternehmen und Behörden tätig – von der Generalversammlung der UN, dem amerikanischen Außenministerium und US-Kongress, bis hin zum Deutschen Bundestag, in Kolumbien oder der Tschechischen Republik. Seit Jahrzehnten fordert die US-Soziologin Eisler einen wirtschaftlichen Wandel - und sieht nunmehr den richtigen Zeitpunkt gekommen... „Die Pandemie zwingt uns unser „altes Normal“ zu hinterfragen“, schreibt Eisler in Ihrem Buch „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie“. Der Zusammenbruch der globalen Wirtschaft habe weltweit die Strukturfehler unseres derzeitigen Systems sichtbar gemacht. „Diese Wirtschaft ist weder nachhaltig, noch gerecht. Zudem herrsche eine realitätsferne Politik, werden realitätsuntaugliche Regeln, Anreize und Praktiken angelegt“, sagt die Politikberaterin und Autorin. Probleme lassen sich nicht mit der gleichen Denkweise lösen, mit der sie geschaffen wurden, ist sie überzeugt. „Caring Economy“. So nennt Eisler jene nachhaltige Form eines zukünftigen Wirtschaftssystems, dass den Wert von Umweltschutz ebenso mitberücksichtigt, wie jene „Werte“ aus Fürsorge und Pflege für Familie und Gesellschaft: „Wirtschaftlich berücksichtigt“ werden dabei soziale Leistungen privater Haushalte - und das von frühester Kindheit an, so Kernthese der „Care-Arbeit“: also unbezahlte „Arbeit“, zumeist von Frauen ausgeführt, die sich um Familienfürsorge wie, Putzen, Waschen, Kindererziehung, Pflege usw. dreht. Diese Leistungen müssen, so die Anwältin, als eigener Wirtschaftszweig betrachtet und in Kennzahlen bewertet werden. Aber auch die Wertschöpfung aus Kommunen und Naturquellen, sollten in dieser neuen Form des Bruttoinlandsprodukts (BIP) mit einbezogen werden. Eine Wirtschaft, die auf Partnerschaft und Fürsorge basiert? Eislers „Center for Partnership Studies“ hat bereits die Kennzahl eines „Sozialen Wohlstandsindex" entwickelt. Dieser Index macht – anders als das (BIP) – die Rentabilität von Investitionen in Fürsorge für Mensch und Umwelt sichtbar. Die logische Schlussfolgerung: Erst durch den achtsamen Umgang mit wertvollem Human- und Naturkapital, kann „wahrer“ Wohlstand erzeugt werden. Ein Wandel der Wirtschaft könne deshalb nur gelingen, so Eislers Überlegung, wenn neu definiert werde, was als „wirtschaftlich produktiv“ gelte... Machen Menschen nur dann etwas, wenn sie einen persönlichen Vorteil darin sehen? Riane Eisler ist überzeugt davon, dass das bisherige, „dominanzgeprägte“ Wirtschaftsmodell, wie es in den USA und anderen westlichen Nationen praktiziert wird, an seine Grenzen stößt. Das zeige gerade auch die Coronavirus-Pandemie. Schon heute führen allzu hierarchische Strukturen zu Konflikten: Das Spektrum reicht von enormen, sozialen Spannungen durch immer größer werdende Unterschiede zwischen arm und reich, bis hin zu steigenden Rassismus und demokratiegefährdenden Weltverschwörungstheorien. Alles Zeichen, so Eisler, eines fehlerhaft geleiteten Wirtschaftssystems, das auf Ausbeutung menschlicher und natürlicher Ressourcen basiert. Der dominanzgeprägten Wirtschaftlichkeit, stellt Eisler eine neue Ökonomie der Partnerschaftlichkeit gegenüber: Einer „Caring Economy des Partnerismus“, die all jene Aspekte miteinbezieht, die einen direkten Einfluss auf unser Leben und auf die Zukunft unserer Kinder und unseres Planeten haben. Die Natur des Menschen sei nach wie vor prädestiniert für ein "Partnerschaftssystem", dies zeigen neurologische Experimente Studien, so die Wissenschaftlerin. Wirtschaftsstrategien und Wiederaufbauhilfen mit Klimaschutzmaßnahmen zu verbinden, seien deshalb wichtige Schritte im Kampf gegen die weltweite Zerstörung natürlicher Lebenserhaltungssysteme. Schweden und Finnland seien positive Beispiele eines partnerschaftlich geprägten Wirtschaftssystems: Es gibt flache Hierarchien, Reichtum ist gerechter verteilt und eine bessere Gleichstellung der Geschlechter. Die Menschen in Skandinavien sind generell zufriedener und auch die Wirtschaft ist erfolgreich. Als „partnerschaftliche Basiskonzepte“ erwähnt Eisler beispielsweise die „Elternteilzeit“ oder allgemeine Krankenversicherungen. Diese Form der Care-Economy zeige zudem auf, wie Wirtschaft und Gesellschaft sich gegenseitig beeinflussen. Übrigens: Finnland gilt bereits zum 3. Mal hintereinander laut "UN-World Happiness Report" als Land mit dem weltweit höchsten Wert an Lebenszufriedenheit und Wohlbefinden der Bevölkerung (s. Foto "Happy Guides Finland"). „Wirtschaft wird von Menschen geschaffen und von den Werten und Ansichten innerhalb der Gesellschaft bestimmt, zu der die jeweilige Wirtschaft gehört“, betont Riane Eisler. Deshalb sei es wichtig, aktuelle gesellschaftliche Bedürfnisse und Anforderungen in die Wirtschaftsabläufe zu integrieren und laufend zu adaptieren. Neue Technologien, wie Robotik, Bio- und Nanotechnologien, können laut Eisler durchaus hilfreich sein, um eine partnerschaftlich geprägte Ökonomie umzusetzen. „Jetzt die beste Gelegenheit sich von „unserem dominanzgeprägten Erbe zu befreien“, ist Eisler ist überzeugt: Es seit Zeit einen gesellschaftlichen, wirtschaftlichen Umbruch einzuleiten, „von dem wir alle profitieren könnten“. Gerade die Pandemie sei eine Chance die Wirtschaft neu, besser und gesünder zu denken. Wir sollten diese Chance nützen... Buch-Tipp: „Die verkannten Grundlagen der Ökonomie: Wege zu einer Caring Economy“ Von: Riane Eisler Umfang: 240 Seiten Erschienen bei: Büchner-Verlag Fotos: Buzz Andersen, Kim Heamosoo, Mauro Mora, Anna Shvets, Tom Ezzatkhah, Simon Forest, Brook Cagle / Unsplash; Karoline Grabowska / Pexels Quellen: orf.at, Büchner-Verlag Text: Helmut Wolf
0 Comments
Your comment will be posted after it is approved.
Leave a Reply. |