Generationenwohnen. Wohn- und Hausgemeinschaften. Zusammenleben von Alt und Jung. Der Immobilienmarkt sollte immer auch gesellschaftliche Entwicklungen abbilden. Darüber sind sich IC Development-Geschäftsführerin Sabine Müller und Zukunftsforscher Harry Gatterer im Gespräch einig. Wohngemeinschaften oder Mehrgenerationenprojekte werden immer beliebter. Worauf sollte man heute als Immobilienentwickler achten? Sabine Müller: Es geht darum für die verschiedenen Lebensphasen der Menschen die richtigen Konzepte anzubieten. Diese Konzepte sollten flexibel sein, Räume für Austausch schaffen, Beziehungen zu Nachbarn und zum Umfeld ermöglichen. Man muss die Zielgruppen, die Menschen und ihre Wünsche verstehen. Was einen Wohnort ausmacht, ist vor allem der Mix aus Heterogenität in der Gesellschaft. Vielfalt ist wichtig... Harry Gatterer: Wir leben heute in einer komplexen, auf Individualität aufgebauten Gesellschaft. Auf der anderen Seite suchen wir soziale Kontakte, Freunde, Gemeinschaft. In den einzelnen Wohnungen können wir diese Anforderungen kaum mehr erfüllen. Es braucht deshalb unterschiedlichste Formen des Wohnens. Gerade bei der älteren Generation haben wir aber noch immer den Reflex, sie in den „Kuschelcontainer“ sperren zu wollen. Doch das funktioniert nicht mehr. Die Babyboomer, also die Generation der in den 60er-, 70-Jahren geborenen, wollen sich nicht mehr abschieben lassen. Sie wollen Teil der Gesellschaft sein - und bleiben. Hängt der Wohnbau dieser gesellschaftlichen Entwicklung hinterher? Sabine Müller: Der Wohnbau ist stark reglementiert, da befindet sich die Innovation gewissermaßen in einem Korsett. Vor allem im geförderten Immobilienbereich. Harry Gatterer: Von Generationen-Wohngemeinschaften haben wir schon vor 15 Jahren geredet. Sabine Müller: Der Begriff Wohnung wird zu eng gedacht. Was ich meine: Ich kann die Wohnung klein halten, und trotzdem eine wunderbare Lebensqualität erzeugen. Das zeigt auch die starke Entwicklung hin zu Einpersonenhaushalten. Man braucht nicht viel Wohnfläche, will aber trotzdem nicht alleine sein. Harry Gatterer (Foto links): Man hängt sich an den Begriff Mehrgenerationenwohnen, im Grunde aber geht es darum, dass wir noch keinen richtigen Umgang mit dem Alter gefunden haben. Wir werden alle älter, und da braucht es einen guten Umgang damit. Was wir benötigen ist ein „Pro-Aging-Konzept“, und kein Anti-Aging-Prinzip. Sabine Müller: Es geht auch um Werte... Harry Gatterer: ...und um soziale Hintergründe. Und auch nicht nur um die eigenen vier Wände. Wohnen ist ein generelles Lebenskonzept. Der Ort, wo ich schlafe oder Freunde empfange, kann auch woanders sein. Über 70 % der Haushalte in Österreich sind bereits kleine Haushalte. Wir sprechen hier von „Small World-Networks“: also Netzwerken von unterschiedlichen Orten und Gegebenheiten, in denen man lebt und agiert. In der derzeitigen Diskussion geht es aber noch immer um das alte Denken des klassischen Eigenheims, anstatt etwas gänzlich Neues, einen neuen Ansatz zu schaffen. Diese Art von Denken fördert im Grunde die Reglementierung... Im Grunde braucht man also nicht viel Wohnfläche, der Lebensraum erweitert sich über die eigenen vier Wände hinaus... Sabine Müller (Foto links): Ja. Wir haben vor einiger Zeit ein Micro-Living-Haus hier im „Viertel Zwei“ (1020 Wien, Anm.) eröffnet. Diese Wohnungen bzw. „Studios“ sind nicht größer als 32 m2. Aber es gibt Gemeinschaftsräume, große Terrassen zum sozialen Austausch usw. Hier leben junge, aber auch ältere Menschen. Das Konzept basiert auf dem Grundsatz: du kannst dich alleine in die Wohnung zurückziehen, brauchst aber nicht alleine zu sein. Diese Flexibilität der Räume gilt es in der Planung schon mit zu berücksichtigen. Harry Gatterer: Beim Wohnen geht es wie im Leben um geglückte Beziehung. Die ganze Technik ist im Grunde irrelevant, wenn kein sozialer Austausch stattfinden kann. Auf den Punkt gebracht: die Kultur ist immer stärker als die Architektur. Bei jedem Immobilienprojekt sollte es deshalb darum gehen, nicht nur die Immobilie als gestalterische Fläche alleine zu betrachten, sondern menschliche Begegnungen mitzudenken. Sabine Müller: Einer unserer Leitsätze lautet: wir schaffen Lebensräume, nicht Büros oder Wohnungen. Was ich an dem Ort erlebe, wie ich arbeite und Freizeit gestalten kann, das sind Erfolgsfaktoren. Darauf gilt es die Konzeptentwicklung auszurichten. Ein guter Immobilienentwickler ist kein „Häuslbauer“, sondern entwickelt gebaute Lebenskonzepte. Apropos „gebaute Lebenskonzepte“. Wird sich diese Erkenntnis auch bei Stadtplanern und Entscheidungsträgern durchsetzen? Sabine Müller: Wenn diese Konzepte erfolgreich sind, werden sie sich auch durchsetzen. Man muss Vorbild sein und daraus Nachfrage generieren. Harry Gatterer: Nichts ist so spannend wie die Urbanisierung. Die Beschäftigung mit Wohn- und Lebenskonzepten in den Städten, die Art und Weise wie wir Lebensräume neu definieren, das greift jetzt langsam. In Österreich dauert es halt etwas länger. Leider leben wir hier in einer Art „Angstkultur“, nur ja nichts falsch zu machen. Die Gesellschaft muss sich, und wird sich auch weiterentwickeln. Das greift auch auf die Immobilienbranche über. Dazu braucht es auch Mut... Sabine Müller: Mut - der bestätigt wird vom Erfolg. Und wenn etwas erfolgreich ist, dann bekommt es auch Aufmerksamkeit von den Entscheidungsträgern. Um Menschen glücklich zu machen, braucht es mehr gemeinschaftlichen Wohnraum?
Harry Gatterer: Früher hat man gesagt, Individualität ist Abgrenzung. Der neue Gedanke lautet: ich verbinde mich mit anderen, der Gemeinschaft, der Community, aber bleibe trotzdem noch Individualist. Es geht um Begegnung und Wertschätzung. Der Philosoph Peter Sloterdijk hat dieses Lebensprinzip „Co-Isolation“ genannt: ich kann mich jederzeit zurückziehen, aber auch mit anderen zusammen sein. Sabine Müller: Individualität ist immer wichtig. Gleichzeitig muss ich mich auch mit anderen Menschen austauschen können. Dies sollte eine zukunftsorientierte Immobilie abbilden... Danke für das Gespräch! Das Interview ist auch in der Ausgabe „Generationen Wohnen – Immobilien Investment“ erschienen. Fotos: IKEA Life@Home Report 1 / 2 / 3 Text & Interview: Helmut Wolf
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