Brotbacken? Ist das nicht Omas Sache? Wieso sich das in den letzten Jahren stark geändert hat und wie die Pandemie uralte Traditionen wieder in unsere Küche zurückbringt, haben uns Simon Wöckl und Michael Öfner von „Kruste und Krume" im folgenden Interview erzählt! Das ganze Haus duftet nach dem unvergleichlichen Geruch von frischgebackenem Brot: innen herrlich luftig, außen köstlich knusprig. Eine Scheibe, noch warm, mit Butter und Salz. Wer schon einmal das Glück hatte, dieses Szenario zu erleben und zu schmecken, weiß, dass es kaum etwas Köstlicheres gibt. Ein absoluter Glücksmoment. Aber wer kann das heutzutage schon behaupten? Das Wiener Unternehmen „Kruste und Krume" bietet nicht nur eine Vielzahl an Mehlen und Backzutaten in ihrem Shop an, sondern veranstaltet vor allem auch unterschiedliche Workshops rund um das Thema Backen. Wir befinden uns in Österreich nun zum dritten Mal in einem harten Lockdown. Unser Alltag hat sich stark verändert, so viel ist klar – entgegen aller Trends in Richtung Technisierung und Digitalisierung sehen wir aber in dieser Zeit, dass Menschen wieder anfangen, handwerkliche, ganz und gar "analoge" Dinge zu tun. Woher kommt dieses Bedürfnis? Simon Wöckl: Ich denke, dass in solchen Krisen unsere Abhängigkeit von unserer Wirtschaft und dem sich von organischen Prozessen entfernendem System, sehr klar wird und wir deshalb versuchen Unabhängigkeit, natürliche Prozesse der Lebensmittelherstellung und einfach Emotion durch das Selbermachen von Lebensmittel zu erfahren. In diesen Schaffensprozessen steckt eine unglaubliche Faszination, die mit wenig anderem Vergleichbar ist. Selbst gebackenes Brot schmeckt bestimmt nicht nur gut, sondern der Akt des Backens verbindet uns wieder ein bisschen mit der sonst so entkoppelten Lebensmittelherstellung. Ist das also auch ein bisschen ein Gegentrend zum Status Quo der industrialisierten Produktion? Michael Öfner: Definitiv. Wir haben als Gesellschaft über die letzten Jahrzehnte den Bezug zu unseren Lebensmitteln verloren. Wir erfahren durch die Verpackung oder Zutatenliste nur mehr sehr schwammig woraus ein Brot besteht, geschweige denn woher die Zutaten stammen. Das hat viele Konsumenten skeptisch gemacht und dazu veranlasst, selbst Brot zu backen. Viele ehemalige Kursteilnehmer erzählen uns oft voller Stolz, dass sie seit vielen Monaten kein Brot mehr vom Supermarkt gekauft haben - und nur mehr selbst backen. Daran erkennt man sehr gut, wie viel Freude ein kleines Stück autarke Lebensweise bereiten kann. Außerdem ist Brot ein unglaublich emotionales Produkt. Viele Menschen kennen noch das frisch gebackene Brot von der Großmutter. Wenn man dann selber das erste Mal Brot bäckt, der Brotgeruch die Küche ausfüllt, man die krachende Kruste beim Anschneiden hört und das noch warme Brot mit Butter probiert und nicht aufhören kann, sich weitere Scheiben runterzuschneiden, dann ist das schon ein schönes Gefühl. Plötzlich hat man wieder einen Bezug zu seinen Lebensmitteln. In euren Workshops steht natürlich das Brot in seinen verschiedensten Formen im Mittelpunkt. Wer möchte, kann aber auch lernen, italienische Pasta, französische Brioches oder Altwiener Kipferl herzustellen. Das klingt köstlich, aber nach viel Aufwand. Ist das wirklich etwas für den Alltag? Michael Öfner: Ja, und genau diese ‚Alltagstauglichkeit‘ wollen wir unseren Teilnehmern in unseren Kursen vermitteln! Wenn man ein funktionierendes Rezept hat und die richtige Beschaffenheit eines Teiges kennt, wird Brotbacken zum Kinderspiel. Brotteige haben den großen Vorteil, dass sie sehr wenig Aufmerksamkeit benötigen. Ist ein Teig einmal geknetet, muss er nach der Ruhephase nur mehr geformt werden und kann wenig später gebacken werden. Sowas lässt sich wunderbar in den Alltag integrieren, und das wollen wir auch in den Kursen zeigen. Besonders schön zu sehen ist das bei dem italienischen Pastakurs. Oft glauben die Teilnehmer, man bräuchte dafür eine Pastamaschine - und jede Menge Zeit. Doch frische Bandnudeln sind in weniger als 5 min ausgerollt und können sofort gekocht werden. Gemeinsam mit gutem Olivenöl und Cherrytomaten hat man in kürzester Zeit ein herrliches Gericht gezaubert. Und wenn es dann noch selbstgebackenes Baguette dazu gibt… Besonders interessant: Auch Urgetreide wie Einkorn, Emmer oder Waldstaude werden bei euch verwendet. Was sind hier die Besonderheiten? Und wer baut solche Urgetreide heute überhaupt noch an? Simon Wöckl: Immer mehr Ackerbaubetriebe, gerade im Biolandbau, setzen in den letzten Jahren vermehrt auf den Anbau von raren, älteren Getreidesorten, die auch oft unter dem Namen Urgetreide in den Handel kommen. Biodiversität ist in unserer industrialisierten Welt ein schwindendes und hoch bedrohtes Gut. Auf das müssen wir besonders achten. Das sollten wir nicht nur konservieren, sondern auch mehr fördern und wiederherstellen. Die Vielfalt, sei es im Ackerbau, in der Viehhaltung, der Lebensmittelproduktion oder der ganzen Flora und Fauna, ist das Fundament jedes funktionierenden Ökosystems. Je komplexer und vielfältiger ein System, desto stabiler ist es. Der Anbau von raren Getreidesorten wie Emmer, Einkorn oder Waldstaude bietet vor allem dem Biolandbau auch die Möglichkeit auf nicht so ertragsfähigen Böden hochwertige Produkte für die Ernährung zu produzieren, welche nebenbei im Mineralstoff- und Vitamingehalt, sowie dem Aromam meist in ganz anderen Ligen spielen als moderne Hybridsorten. Auf solchen Flächen wächst dann vermehrt „Ackerbegleitflora“, von der sich viele Insekten ernähren. Da fliegt und wächst viel mehr... Wie würdet ihr einen Menschen, der noch nie selbstgebackenes Brot probiert hat, nicht leidenschaftlich gerne kocht und vielleicht auch nicht besonders viel Zeit hat, dazu überzeugen selbst ein eigenes Brot zu backen?
Simon Wöckl: Brot zu Backen, seinen eigenen Sauerteig zu ziehen, sich eine eigene Kultur zu züchten, ist eine ganz besondere Erfahrung. Man zieht etwas groß, es fühlt sich so an wie etwas zum Leben zu erwecken. Obwohl es mehr ein Einfangen von verschiedenen Mikroorganismen und kontrolliertes Gestalten deren Lebensraumes ist. Aber schöner klingt der erste Ansatz. Ich habe durch meine Tätigkeit schon bei vielen Menschen diesen Paradigmenwechsel und das Wachsen der Faszination erleben dürfen. Es gibt so viele Möglichkeiten Brot sehr zeiteffizient zu backen. Die Zeit gilt also als Ausrede nicht mehr. Es ist eine bewusste Entscheidung, die müssen alle selbst treffen. Ich versuche Menschen durch Leidenschaft, Rezepte und Wissen dazu zu motivieren. Danke für das interessante Gespräch! Web-Tipp: www.krusteundkrume.at Fotos: Barbara van Melle, Simon Wöckl (Titelfoto), Kruste & Krume Interview: Sarah Langoth
0 Comments
Your comment will be posted after it is approved.
Leave a Reply. |