Gemeinschaftlich wohnen. Solidarisch finanzieren. 70 Menschen finden in einem besonderen Wohnprojekt in der Steiermark ein neues Zuhause: In einer ehemaligen Kaserne entsteht ein neues Lebenskonzept – mitsamt alternativen Finanzierungsmodell, wie Claudia Schnirch im Interview erzählt... „Wir erschaffen ein Dorf, in dem eine Vielfalt an Menschen in Offenheit, Freiheit und Verbundenheit miteinander, der Natur und der Mitwelt lebt." Wer den Worten der Mitbewohner des Wohnprojekts „Cambium“ folgt, erkennt sofort: Hier haben sich Menschen gefunden, die Leidenschaft und Idealismus teilen und leben wollen - und das in jeder Hinsicht: „Über 640 Mrd. € liegen in Österreich auf Konten und Sparbüchern. Stell dir vor, du könntest darüber verfügen, könntest bestimmen, wie und wo unser Vermögen investiert wird. Was würdest du tun?", lautet eine der maßgeblichen Fragen, die das Selbstverständnis und Finanzierungsideal der Gemeinschaft begründen. Generationsübergreifendes Projekt in Fehring. Rund 70 Menschen haben in einer ehemaligen Kaserne in der Gemeinde Fehring, in der österreichischen Oststeiermark, ihr momentanes Zuhause gefunden: von 25 Kindern bis hin zu Großeltern sind generationsübergreifend alle Altersstufen vertreten. Im Moment wird Kapital in einem sogenannten „Vermögenspool“ gesammelt, um die große Kaserne kaufen zu können. Wie sich so ein Zusammenleben gestaltet und wie solidarische Wirtschaft funktionieren kann, hat uns Claudia Schnirch im folgenden Interview erzählt! Liebe Claudia, bei so vielen Menschen kommen bestimmt eine Menge unterschiedliche Interessen zusammen - wie gestaltet sich euer Alltag? Unser Alltag ist wohl so vielfältig wie die Menschen, die hier leben. Manche arbeiten vor Ort, andere in der Region oder pendeln darüber hinaus. Es gibt Selbstständige, Angestellte, Freiberufliche - vom Tischler oder Baumpfleger über Sozialarbeiter bis zu Pädagogen und Therapeuten sind viele berufliche Felder vertreten. Wir kochen von Montag bis Freitag in selbstorganisierten Küchenteams und haben so einen vielfältigen Speiseplan. Auch der Einkauf wird kollektiv getätigt. Dabei achten wir auf ökologische Nachhaltigkeit und Regionalität. Unsere Kinder besuchen verschiedene Kindergärten und Schulen in der Region. Bedarf für eigene Einrichtungen haben wir auf jeden Fall, das ist jedoch im Moment noch Zukunftsmusik. Wir legen großen Wert auf gegenseitige Unterstützung und Teilen von Ressourcen - zum Beispiel werden die Autos am Platz gemeinsam genutzt und wir merken auch, dass eine Waschmaschine locker für ein paar Familien reicht. Engagieren sich alle Menschen gemeinschaftlich? Oder gibt es solche, die sozusagen„nur" bei euch wohnen? Partizipation und Verantwortungsübernahme sind ein wesentlicher Teil unseres Zusammenlebens. Wir legen großen Wert auf Freiwilligkeit: jeder bringt sich soviel ein, wie er kann. Dabei wollen wir offen darüber sprechen, wenn wir bei jemandem einen „unguten” Eindruck haben, wie etwa, dass sich jemand gar nicht in die Gemeinschaft einbringt. „Nur” hier wohnen ist also theoretisch möglich. Ich denke aber nicht, dass es jemandem damit längerfristig gut gehen kann... wir sind ein ziemlich motivierter Haufen hier! Unsere Organisation ist an die „Soziokratie“ angelehnt: es gibt Arbeitsgruppen, die thematisch in Arbeitskreise eingegliedert sind. Pro Arbeitskreis gibt es einen Hüter und einen Deligierten, die sich im Leitungskreis treffen. Dieser hat vor allem den Blick auf die Metaebene. Dies trägt dazu bei, dass wir unsere Prioritäten im Einklang mit allen Arbeitsgruppen und -kreisen setzen. Das basisdemokratische Element von „Plena“ haben wir ebenfalls integriert: Wöchentlich treffen wir uns alle zusammen in einem gut vorbereiteten Rahmen, um den Informationsfluss zu gewährleisten und Stimmen zu einzelnen Themen und Entscheidungen einzuholen. Großen Wert legen wir auf die Trennung von organisatorischem und emotionalen Themen. Gibt es ein erhöhtes Konfliktpotential, wenn so viele Menschen auf recht engem Raum wohnen? Natürlich gibt es bei so einer Wohn- und Lebensform ein ständiges Ausloten zwischen individuellen und kollektiven Bedürfnissen. Wir nehmen uns viel Zeit für emotionale Prozesse und setzen uns etwa alle sechs Wochen für zwei bis vier Tage zusammen, um uns dazu auszutauschen. Für diese Zeiten holen wir uns regelmäßig Begleitung von Experten, die uns unterstützen. Für Themen, wie etwa die gute Begleitung unserer Kinder am Platz, finden sich extra Räume. Wir haben sehr gut ausgebildete Menschen im Haus, die sich stark mit Gruppenprozessen auseinandersetzen und deren Wissen und Erfahrungen bereichern uns sehr. Das Vertrauen in der Gruppe wächst mehr und mehr, und so können wir mittlerweile auf Themen, die anfangs sehr brisant waren, schon relativ gelassen zugehen. Der Kauf der Liegenschaft soll mit einem Vermögenspool realisiert werden. Wie funktioniert das? Der Vermögenspool ist ein alternatives Finanzierungsmodell, bei dem Menschen ihr gerade ruhendes Geld in ein für sie sinnvolles Projekt investieren können. Man zeichnet eine Anleihe, die über einen Treuhänder „grundbücherlich“ abgesichert und auf Wunsch wertgesichert (inflationsangepasst - derzeit ca. 2%) ist. Wenn man sein Geld wieder braucht, bekommt man dieses innerhalb einer dreimonatigen Frist wieder und ein anderer Anleger kann in den Pool einzahlen. Die rasche Auszahlung sichern wir mit einer Liquiditätsreserve von 10 %. Wichtig ist hierbei, dass der Wert von Grund, Boden und Gebäuden immer gleich ist mit dem Wert im Vermögenspool. Wir lassen unser Land und die Gebäude jährlich von einem Sachverständigen bewerten, um dies sicher zu stellen. Was wären eurer Meinung nach die Vorteile einer „solidarischen Wirtschaftsstruktur“?
Geld in unserem herkömmlichen System schafft so oft Trennung zwischen den Menschen. Wenn wir wieder näher zusammenrücken und uns gegenseitig unterstützen, kann Geld Verbindung schaffen. Kooperation statt Konkurrenz, ist da die Devise. So werden alle Individuen gestärkt, und das größere Gefüge wird insgesamt stabiler - und weniger abhängig von fragwürdigen gesellschaftlichen Strukturen, da es auf vielen Schultern getragen wird. Selbstermächtigung zu eigenverantwortlichem Handeln und die Möglichkeit, eine eigene, lebensbejahende Struktur mit zu gestalten, sind genauso eine große Bereicherung. Was haben Anleger davon, ihr Geld nicht dem klassischen Kapital-/Finanzmärkten zu überlassen? Die Anonymität der klassischen Anlageformen fällt weg. Die Anleger wissen genau, wo und wie ihr Geld wirkt und können so dem eigenen Kapital eine klare Widmung geben. 640 Milliarden Euro liegen derzeit ruhend auf österreichischen Konten und Sparbüchern! Wenn sich dieses Geld auf eine Reise macht, könnten so viele nachhaltige und sinnvolle Projekte finanziert werden, die zum ökologischen und gesellschaftlichen Wandel beitragen. Vielen Dank für das Gespräch! Web-Tipps: www.cambium.at www.vermoegenspool.at Fotos: Gregor Buchhaus Interview: Sarah Langoth
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