Leben ohne Geld. Eine Utopie? Tobi Rosswog 25, hat gemeinsam mit Pia Damm 2,5 Jahre geldfrei gelebt. Ein Gespräch über den notwendigen Wandel und die Gesellschaft von Morgen... Lieber Tobi, woher kommst du und wie bist du herangewachsen? Aufgewachsen bin ich in Hannover in Deutschland. Glücklicherweise nahe am Stadtwald „Eilenriede“. Dadurch konnte ich viel Zeit spielend in der Natur verbringen. Ein prägendes Erlebnis - und großer Impuls in meinem Leben - war meine Geburt ;-) Da ich mit einem knapp 1 Kilogramm schweren „Steißbeinteratom" auf die Welt gekommen bin. Für mich eine kleine Herausforderung, aber vor allem großartiges Geschenk, denn es war die erste wichtige Lektion in meinem Leben: die Ärzte damals meinten, dass ich mit diesem Krankheitsbild nicht werde gehen können und ein Rollstuhlkind sei. Mit viel Energie und Motivation in meinem Umfeld durfte es mir gelingen doch mobil zu sein. Nun werde ich zwar kein Marathon laufen und auch kein Fußball-Profi werden, aber das ist sowieso nicht mein Ziel. Mein Impuls daraus, der mich bis heute motiviert, ist: „Wir müssen das Unmögliche probieren, um das Mögliche wahr zu machen“. Und vor allem: Wir dürfen keinen vermeintlichen Autoritäten glauben schenken. Dafür bin ich sehr dankbar, weil es mir eine andere Perspektive auf die Welt schon früh eröffnet hat und mich bis heute trägt. Natürlich soll das auch keine Garantie dafür sein, dass sofort immer alles klappen kann. Aber wenn wir es gar nicht erst ausprobieren, wird es auf keinen Fall gelingen... Aktuell lebe ich vor allem in Mainz. Ich bin aber auch viel unterwegs, um Vorträge, Workshops und andere Bildungsaktivitäten an Unis, auf Kongressen und überall wo ich eingeladen werde, zu geben. Hat sich dein „Hinterfragen“ aus Unzufriedenheit mit dem Ist-Zustand entwickelt? Mein wichtigster Impuls für das Reflektieren geschah mit ungefähr 17 Jahren. Als ich in ein Stück „Mortadella Bärchenwurst“ biss und mir plötzlich klar wurde, dass das tote Stück Wurst einmal etwas Lebendiges war. Als mir bewusst wurde, dass ich da eigentlich entgegen meiner ethischen Maxime handle, wurde ich sofort vegetarisch, in letzter Konsequenz vegan, weil ich so wenig Leid und Ausbeutung wie möglich verursachen möchte! Da wurde mir klar: Wenn es bei so einem klaren Thema wie der Ernährung, mit welchem ich drei Mal am Tag konfrontiert werde, es schon so schwierig ist dahinter zu blicken, zu reflektieren, gibt es sicherlich viele weitere Bereiche im Leben, die noch undurchschaubarer, aber unbedingt zu hinterfragen sind. Und so fing ich an auch weitere Lebensbereiche kritisch zu beleuchten - und meine persönlichen Konsequenzen daraus zu ziehen... Viele Menschen wollen ihr Leben ändern. Sie trauen sich aber nicht raus aus ihren selbst gewählten Hamsterrad aus Shopping, Reisen, Auto, Haus.... Wo sollte Veränderung beginnen? Die allgemeine Motivation und den Drang nach Veränderung nehme ich auch wahr. Allerdings mag ich nicht ausschließlich davon sprechen, dass dieses Hamsterrad der Konsumverwirklichung wirklich selbst gewählt ist. Bei 6.000 Werbebotschaften, die uns täglich begegnen und die Art der Sozialisation, die sich unter anderem aus diesem Fakt ablesen lässt, gibt nicht allzu viel bewusste Entscheidungsfreiheit, sondern vielmehr einen ziemlich klaren Rahmen vor. Veränderung sollte vor allem an den Ursachen anpacken und die Frage stellen: Warum sind und handeln Menschen so oder so? Von Natur aus möchten wir sicher nicht per se jedes Jahr ein neues Handy konsumieren. Es sind künstlich geschaffene Bedürfnisse. Die kapitalistische Logik beruht auf Konkurrenz, Ausbeutung, Verwertung, Leistungsdruck und Selbstoptimierungswahn. Das zerstört am Ende die gesamte Mitwelt – uns darin eingeschlossen. Gleichzeitig sind wir als Teil dieser Realität natürlich auch in der Verantwortung: wir sollten versuchen authentisch unseren eigenen Wegen und Ideen zu vertrauen. Was brauche ich eigentlich wirklich? Was würde ich tun, wenn Geld keine Rolle spielt? Zwei entscheidende Fragen, die ich mir immer wieder stellen kann, um meine Antworten darauf möglichst direkt umzusetzen. Was gibt dir Mut und Kraft Dinge verändern zu wollen? Mich motivieren vor allem zwei Dinge: 1. Die unglaubliche Resonanz auf unsere Ideen und Aktivitäten. 2.) Die Kinder dieser Welt. Ich möchte im wahrsten Sinne des Wortes Verantwortung übernehmen und damit Antworten geben auf die Fragen der Kinder: „Was hast Du damals gemacht, als es hieß: „Jetzt dürfen wir Wandel gestalten?“ Ich möchte sagen können: „Ich habe alles mir mögliche versucht und meine gesamte Energie darein gesteckt – und zusammen mit wunderbaren anderen aktiven Menschen hat es geklappt, sodass Du noch eine zukunftsfähige Gesellschaft vor Dir hast.“ „Geld regiert die Welt“. Richtig? Aktuell scheint es so. Aber letztendlich liegt die Ursache in der gesellschaftlichen Konvention, uns davon regieren zu lassen. Was ist Geld überhaupt? In den Kinderbüchern wird uns immer wieder versucht klar zu machen, dass es ein Tauschmittel sei, was einiges vereinfacht. Das mag im gewissen Maße auch durchaus zu treffen, denn ich bin auch nicht für eine Tauschgesellschaft, sondern für eine Geschenk- oder auch „Umsonstökonomie“. Wichtig ist immer mitzudenken: Geld ist nicht das Böse – damit wir nicht in irgendwelche Verschwörungstheorien enden. Es gibt viele gute Gründe, warum Geld nicht das sinnvollste aller Mittel der sozialen Interaktion ist. Ich spreche in dem Zusammenhang auch immer öfter vom Begriff der „monetären Gewalt“. Zudem versuche ich ein bisschen mit Mythen aufzuräumen, um zu zeigen, dass Geld eben nicht unabhängig, frei und sicher macht - und auch nicht normal, natürlich und notwendig ist. Ihr habt zu zweit 2,5 Jahre geldfrei gelebt. Ist das gemeinsam leichter oder schwerer? Ich denke, dass es zu zweit einfacher ist, weil ein gemeinsames Reflektieren über die Erfahrungen und Perspektivwechsel außerhalb der Verwertungslogik, des Leistungszwangs und des Selbstoptimierungswahns möglich ist. Gemeinsam konnten wir auch mit anderen Aktivisten in unserem Projekt- und Aktionsnetzwerk „living utopia“ sehr viele weitere Aktivitäten organisieren und verwirklichen). Wie kann man sich das vorstellen „geldfrei“ zu leben? Gerade in Bezug auf Wohnen, Energie, Lebensmittel und Mobilität. Letztendlich gilt es: Vorhandenes sinnvoll nutzen! Wir leben in einer unglaublichen Überfluss- und Wegwerfgesellschaft. Ich brauche keine weitere Nachfrage schaffen, da es eigentlich das gesamte zum Leben notwendige Angebot schon im Übermaß gibt. Weil wir das schon gefühlt hunderte Male ausgeführt haben, gestalteten wir die „geldfreier leben Internet-Kampagne“ (siehe „Web-Tipps“). Es gibt soviel Kapital und ausreichend Bildung, wie noch nie. Wir haben alle Smartphones und sind vernetzt, trotzdem knirscht das „System“ an allen Ecken und Enden der Welt. Was funktioniert da nicht? Kurz und knapp: Wir erreichen - oder überschreiten - gerade Grenzen. Zwei davon seien kurz genannt. Zum einen die ökologische Grenze, denn auf einem begrenzten Planeten ist unbegrenztes Wachstum nicht möglich. Das merken wir beispielsweise an dem Messinstrument namens „Ökologischer Fußabdruck“. Aktuell verbrauchen wir weltweit 1,5 Erden. Da wir aber nur diese eine Erde und keine weitere im Keller haben, ist das langfristig nicht aushaltbar. Zum anderen: wir haben auch die psychische Grenze erreicht, die oft vergessen wird. Das „Immer-weiter-schneller-besser-höher-und-mehr“ machen wir auch nicht mehr mit. Wir merken das an dem exponentiellen Anstieg an Burn-Out-Erkrankungen oder Psychopharmaka-Verordnungen. Die 10.000 Dinge, die wir im Schnitt besitzen, zerstören durch ihre energieintensive Herstellung nicht nur den Planeten, sondern auch uns, weil wir in den Konflikt mit einer wirklich begrenzten Ressource kommen - und zwar unserer Zeit. Wie wirst du dein Leben mittelfristig gestalten? Wir werden eine öko-soziale Gemeinschaft gründen, die versuchen möchte neue Wege zu gehen. Was sollte sich rasch ändern? Der Wandel wird kommen, entweder „by design“ oder „by desaster“. Lasst uns den Wandel bewusst gestalten und nicht gegen die Wand fahren. Dafür ist notwendig an allen Bereichen unseres Lebens zu schrauben. Es braucht dafür einen großen Bewusstseins- und Wertewandel, aber ich sehe optimistisch in die Zukunft. Wir werden immer mehr die durchaus radikale Frage stellen: Was brauchen wir eigentlich wirklich? Danke für das interessante Gespräch! Web-Tipps: www.livingutopia.org www.geldfreierleben.de Interview: Helmut Wolf
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