Faszination „Anstrengendes Gehen“. In der Natur. „Weltweitwandern“-GF Christian Hlade, 55, über Wandern als Kontrast zu unserer komplexen Welt, Ruheeffekte in der Wüste und warum Wandern auch Integrations-Potenzial besitzt... Herr Hlade, die Menschen zieht es wieder verstärkt in die Natur, zum Wandern. Warum? Bewegung in der Natur ist ein gutes Gegengewicht zur Beschleunigung der neuen Medien - bei allen Vorteilen von Smartphone & Co. Wandern erdet. Es gibt Studien, wie jene vom Alpenverein, die wissenschaftlich belegen, dass das Draußen sein eine weit nachhaltigere Wirkung auf Menschen entfaltet, als Indoor am Home-Trainer aktiv zu sein. Selbst die gleichen Bewegungsabläufe haben Outdoor eine andere Qualität: Die Farben, die frische Luft, die Eindrücke, aber auch die verschiedenen jahreszeitlichen Prozesse der Pflanzen, bewirken eine intensive, geistige Erholung und Entspannung. Wer am Berg oben steht und über die Landschaft blickt, merkt, dass alles ein bisschen kleiner und weiter weg ist... Da entsteht eine neue Perspektive. Wenn ich durch Arbeit und neue Medien eine Zeit lang so beschleunigt und produktiv war, dann brauche ich einen leisen, langsamen Gegenpol. Ich bemerke bei mir, dass ich diesen zweiten Gegenpol immer stärker brauche. Naturkontakt ist für mich nicht nur etwas, das ich grundsätzlich habe, sondern etwas, das ich immer wieder pflegen muss. Die Kehrseite ist der Massenauflauf in manchen Bergregionen... Es gibt besonders bei jungen Menschen einen Trend hinaus in die Natur zu gehen. Da gibt es auch manchmal Spitzen, wo plötzlich am Gipfel eine Menge Leute stehen. Auch wenn ich das in manchen Gegenden mit etwas Sorge beobachte, so glaube ich, dass diese Entwicklung doch überbewertet wird. Wenn in Wien 10.000 Touristen mehr an einem Wochenende unterwegs sind, fällt das eben weniger auf, als wenn am „Hochschwab“ (Berg in der Obersteiermark., Anm.) 300 Leute am Gipfel stehen. Der Wanderboom konzentriert sich auf die bekannteren Routen. Wie sind sie auf die Unternehmens-Idee des Weltweitwanderns gestoßen? Schon als Jugendlicher hatte ich das Gefühl: das, was mir die Eltern vorschlagen, gefällt mir gar nicht. Als Sohn des Baumeisters, der die Firma übernehmen sollte, habe ich mich nach dem Architektur-Studium ständig völlig ungeeignet gefühlt. Ich habe viel gelesen, fantastischer Realismus, Entdeckergeschichten... Das war meine Phantasiewelt, wo ich mich aus der Realität gerettet haben. Mit 16 bin ich mit „Interrail“ nach Marokko gefahren - und das hat mich völlig geflasht: Marrakesch, dunkel, mittelalterlich, eine völlig andere, magische Welt. Ich habe viele interessante Leute aus aller Welt kennengelernt – eine globale, bunte Traveller-Family. Nach der Matura war ich in Indien, auch dort habe ich den Australier, den Israeli, den Engländer, die weltweite Reise-Familie angetroffen. Und da wusste ich: das ist genau meins. Ich habe dann begonnen über meine Reisen Vorträge zu halten. Das ist ganz gut angekommen. Die Reise-Vorträge habe ich mit Plakaten im Stil der 70er-Jahre-Rockkonzerte angekündigt. Bei den Vorträgen spielten auch Live-Bands. Ich war der vortragende „Underdog“. Als Architekt war ich acht Jahre tätig. Irgendwie habe ich mich aber gefangen gefühlt. Meine Diplom-Arbeit beim Studium war, eine Solarschule in Ladakh (Indien) zu planen. Dafür sammelte ich Spenden und lukrierte Förderungen. 1999 kündigte ich den Job und ging für ein Jahr nach Ladakh, um diese „Solarschule“ aufzubauen. Dieses Projekt wurde in vielen deutschen Architektur-Zeitschriften hoch gelobt. Danach habe ich Reisegruppen vor Ort organisiert, auch das hat gut funktioniert. Plötzlich war ich erfolgreicher Architekt und Reisender. Danach habe ich viele Vorträge in Schulen und Institutionen gehalten. So hat das Eine das Andere ergeben... „Einfaches Wandern“ - ein ideales Kontrastprogramm zur unüberschaubaren, komplexen Welt? Beim Wandern lernst du sehr schnell dich von unnützem Zeug zu trennen. Wer unerfahren ist und ein paar Tag wandern möchte, nimmt vielleicht die Fotokamera, das Fernglas und die Reservebergschuhe mit. Da wiegt der Rucksack 15 Kilo und du kommst rasch drauf - das brauche ich alles gar nicht. Bei der nächsten Wanderung bist du dann nur mehr mit einem 7 Kilo schweren Rucksack unterwegs, ohne dass dir etwas fehlt. Weniger ist beim Wandern viel mehr. Einfachheit ist hier Luxus. Ganz anders als in unserem oft überfrachteten Alltag… Kommt diese Reduktion auch bei Jugendlichen an? Bei Jugendlichen wird Wandern zu einer Art Gegenwelt. Die Natur-Fotos aus dieser Gegenwelt werden auf Instagram gepostet, um sich damit in der realen Welt zu profilieren… Der Mensch ist ja ein widersprüchliches Wesen. Bei mir ist das genauso: Ich bin Naturschützer, auf der anderen Seite fliege ich viel. Ich bin für Bio-Lebensmittel, aber manchmal kaufe ich mir halt doch eine Schokolade. In der Natur sind Marken und Status nicht so wichtig. Im Alltag zählen dann wieder gewisse Lifestyle-Codes. Beides hat seine Berechtigung. Wandern ist für Jugendliche eine Art Freiraum. Da ist mehr Individualismus möglich: dort können sie sich nach Lust und Laune kleiden und die Freiheit von Konventionen geniessen. Das ist etwas anderes, als wenn sie sich mit der Clique in der Stadt treffen. Nimmt man diese Reduktion des Wanderns auch in den Alltag mit? Das nimmt man sicher mit. Es verändert einen auch. Die schlechte Nachricht ist: dieser Sinn für Reduktion hält nicht lange an. Wenn ich von einer langen Wanderung zurückkomme, muss ich sehr aufpassen, dass dieses Gefühl der Reduktion nicht schon am 3. Tag vom Alltagstrubel verdrängt wurde. Ich muss dieses Gefühl dann immer wieder auffrischen. Auch, um mir zu vergegenwärtigen, das Leben ist nicht so eng ist, wie es im Alltag manchmal erscheint… Die meisten Menschen gehen mit Partner oder Freunden wandern. Wandern hat also auch eine sehr soziale Komponente... Beim Gehen befindet sich der Körper in einem gewissen Rhythmus. Der Körper ist beschäftigt, Gedanken werden frei. Das Gehen beschleunigt den Denkprozess. Schon die griechischen Philosophen haben wichtige Gespräche im Gehen geführt. Wenn ich beim Weitwandern losgehe, dann merke ich, dass es Anfangs aus mir nur so heraussprudelt. Da kommen all die Dinge heraus, die sich im Laufe der der Zeit angesammelt haben. Nach zwei, drei Tagen des Gehens und Redens, kehrt dann eine innere Ruhe ein. Plötzlich hast du keine Gedanken mehr. Deshalb empfehle ich immer wieder einmal drei, vier Tage oder eine Woche zu Wandern. Dieses Gefühl ist, wie nach der Sauna: du hast geschwitzt und fühlst dich frei und zufrieden. Gibt es Orte, wo bei ihnen ein besonderer Ruheeffekt eintritt? Ganz intensiv spüre ich diesen Effekt in der Wüste. Dort umgibt mich nur eine Farbe und all diese weichen Formen. All die Reize fallen weg. Ein paar Tage in der Wüste, und du hast ein Gefühl der totalen Freiheit. Wenn du dann einen Baum in der Wüste siehst, ist das schon ein riesengroßes Ereignis für die Augen (lacht). Es erhöht sich die Detailschärfe. In der Stadt muss ich täglich ein paar hundert Werbebotschaften und Sinnesreize wegblenden und filtern. Eine Landschaft, wo nur pure Natur ist, eröffnet einem eine unglaublich reiche, innere Welt. Was ist für Sie der größte (An-)Reiz Wandern zu gehen? Der größte Reiz ist es, aus meinem städtischen Leben auszubrechen (Hlade lebt in Graz, Anm.) . Das ist etwas anderes, als auf ein Konzert zu gehen. Rausgehen ist wichtig für meine innere Stabilität. Naturkontakt gehört für mich wesentlich zum Mensch-sein dazu. Ich kann es zwar ein paar Monate ignorieren, aber auf Dauer fällt mir der mangelnde Naturkontakt auf den Kopf. Wandern hat ja auch einen demokratischen und sozialen Effekt: Jeder kann jederzeit losgehen, ganz einfach und ohne Aufwand… Richtig. Auf den Wanderhütten triffst du alle sozialen Schichten: Arbeiter, Akademiker, Menschen vom Ort... Und du bist eigentlich immer per Du. Wandern bringt Leute zusammen. Du sprichst mit allen und jeder ist halbwegs gut drauf. Ein kleines Pläuschchen über Wetter oder Route, geht immer. Wobei, man muss schon sagen, Wandern ist in erster Linie ein sehr westliches, mitteleuropäisches Kulturgut… Wenige Migranten wandern, oder? Ja, das stimmt. Das Thema hat wahrscheinlich etwas mit dem Lebenshintergrund zu tun. Wobei man sagen muss, dass sich hier global gerade vieles verändert. Die Chinesen beginnen verstärkt zu Wandern, die Russen ein bisschen. In Japan und Taiwan ist Wandern von jeher sehr beliebt. In den arabischen Ländern pilgert man eher. Wir bieten bei Weltweitwandern übrigens ein neues Wanderreiseprojekt mit Flüchtlingen an. Dabei können Flüchtlinge gratis teilnehmen. Sie bekommen die Fahrkarten gesponsert und sind gemeinsam mit jungen Österreichern unterwegs. Das "Medium Wandern" als Möglichkeit, um mit Österreichern und lokaler Kultur in Kontakt zu treten. Besitzt Wandern ein Integrations-Potenzial? Durchaus. In der Natur trifft man sich ja spätestens bei der Jause oder beim Picknick. Sowohl in Asien als auch im Nahen Osten, gibt es diese Picknick-Kultur. Man geht raus, trifft sich mit Familie und Freunden, verbringt Zeit zusammen. Es gibt durchaus Schnittmengen beim Gehen und Aufenthalt in der Natur. Wie lautet Ihr Lebenskonzept? Bis jetzt galt es die Firma aufzubauen und anderen Leuten davon zu erzählen. Ich würde gerne meine Erfahrungen, nicht nur vom Wandern, teilen und andere damit inspirieren. Als eine Art Förderer und „Ermöglicher“ für andere in der Gesellschaft wirken… Vielen Dank für das interessante Gespräch! Web-Tipp: „Wandern und Horizont erweitern“ Buch-Tipp: „Das große Buch vom Wandern“ Autor: Christian Hlade Umfang: 384 Seiten Erschienen bei: Braumüller Verlag Fotos: Weltweitwandern Text: Helmut Wolf
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