Keine Kreditkarte, keine E-Mails, kein Einkauf im Supermarkt? Was passiert mit Menschen, die scheinbar unverzichtbare Dinge einfach weglassen? Kabarettist und Schauspieler Roland Düringer im Interview über Entscheidungen, Angepasstheit und gültige Stimmen. Veränderung und Wandel. Zwei Aspekte mit denen sich der österreichische Schauspieler und Kabarettist Roland Düringer, 53, intensiv auseinandersetzt. Vor gut einem Jahrzehnt beschloss er, die Jagd nach immer mehr und mehr zu beenden. Er leitete einen radikalen Kurswechsel in seiner Arbeit ein und begab sich auf die Suche nach dem „guten Leben“. Mit seinem Selbstversuch „Gültige Stimme“ versucht Düringer vertraute Dinge, wie Mobiltelefon, Kreditkarte oder Einkauf im Supermarkt, zu hinterfragen oder wegzulassen. Ein Gespräch über Hausverstand, Humor und das einfache menschliche Bedürfnis nach Zufriedenheit und Wohlbefinden. Lieber Roland, was war dein Ansatz für dein Projekt „Gültige Stimme“ und wie hat sich dieser Selbstversuch in deinen Lebensalltag übertragen? Die Grundfrage die ich mir gestellt habe war: kann man mit den Werkzeugen, die ich als Jugendlicher in den 1970/80er-Jahren zur Verfügung hatte, heute noch überleben? Wie schnell ist unsere Zeit? Und: was passiert, wenn du eine Entwicklung einfach verschläfst. Gehörst du dann nicht mehr zur Gesellschaft? Bist du dann nicht mehr gesellschaftsfähig? Dabei sind mir einige Dinge eingefallen, die ich in meiner Jugend noch nicht hatte und heute besitze: Handy, Kreditkarte, Auto, E-Mails etc. Ich habe dann angefangen einige dieser scheinbar unverzichtbaren Tools Stück für Stück wegzulassen. Dies habe ich dann auf einem Video-Tagebuch (seit 2013, Anm.) öffentlich gemacht und versucht so konsequent wie möglich umzusetzen. Ich benütze heute zwar wieder ein Mobiltelefon, aber nur für meinen engeren (Freundes-)Kreis. Das Handy dient mir als Werkzeug. Im Wesentlichen geht es darum jene Dinge, die durchaus gut und faszinierend sind, auf ihre Alltagstauglichkeit auszuloten und als Werkzeuge sinnvoll zu nutzen. Wie bist du auf den Namen „Gültige Stimme“ gekommen? Warum ich genau diesen Begriff gewählt habe, weiß ich nicht mehr genau. Ich würde es eher symbolisch betrachten: Jeder Mensch trifft heute Entscheidungen: ob es Konsum und Mobilität betrifft, oder auch wie du dein Leben und deine Freizeit gestaltest. Es ist immer eine Wahlentscheidung, die du triffst und die irgendwo anders etwas auslöst. Deswegen ist jede Entscheidung eine gültige Stimme. Jene Menschen, die keine Entscheidungen treffen und warten, dass jemand anderer Entscheidungen trifft, das sind die ungültigen Stimmen... Kann dein Selbstversuch auch als eine Rückschau in deine Jugend betrachtet werden, wo vieles möglicherweise einfacher und überschaubarer war? In meiner Jugend war mit Sicherheit alles einfacher und überschaubarer. Ich habe 1981 in der HTL maturiert und kann mich noch gut erinnern, dass es – mit wenigen Ausnahmen – allen meinen Klassenkollegen völlig egal war, was nach der Schule passieren wird. Niemand hatte Angst vor der Zukunft. 10 Jahre später hat mich meine ehemalige Deutschlehrerin anlässlich einer Projektwoche in die Schule eingeladen, um mit den Schülern zu reden. Es war die Klasse ein Jahr vor der Matura. Ich war schockiert: da sind lauter angepasste, junge Menschen gesessen. Die haben nur von Karriere, ihrem Swimmingpool und teuren Autos gesprochen. Was ist da passiert? Anscheinend hat sich in kurzer Zeit sehr viel verändert. Vieles ist heute komplexer und unübersichtlich geworden. Das Gefühl der Sicherheit, das in meiner Jugend noch allgegenwertig war, ist weggefallen. Unüberschaubarkeit dominiert unser Leben, und das macht Angst. Ich bin überzeugt davon: der Mensch braucht klare Strukturen und Orientierung. Ohne „äußerer Landkarte“ sind wir orientierungslos. Glaubst du, ist die Angst der Grund für die zunehmende Angepasstheit und Karriereorientierung vieler junger Menschen? Es kann nur so sein. Die Angst vor dem Irrealen, dem Unbestimmten, ist angewachsen. Teilweise muss man sagen: zu recht. Denn vieles, was jahrelang als absolut sicher gegolten hat, ist plötzlich weggebrochen. Solange die Titanic gemütlich dahinfährt und kein Eisberg da ist, ist alles kein Problem. Wenn jedoch die Pumpe ausfällt, wird man zuerst unsicher. Und wenn plötzlich das Gefühl auftritt das ganze Schiff könnte sinken, dann bekommt man es mit der Angst zu tun. Jeder hat seinen Bereich vor dem er Angst hat, egal ob es die nicht mehr garantierte Pension ist, oder der unsichere Arbeitsplatz. In diesem Zustand der kollektiven Angst entsteht, was Neurobiologen und Gehirnforscher bestätigen: es wird auf den Neandertaler-Modus geschalten. In diesen Modus gibt es drei Strategien gegen die Angst: Angriff, Flucht oder tot stellen. Leider haben wir uns als Gesellschaft derzeit für den Dümmsten Modus entschieden: wir stellen uns tot und hoffen, dass alles Gut wird. Das ist zwar bequem, wird uns aber auf Dauer nichts nützen. Wie kann man die Menschen aus ihrer Lethargie, aus dem angesprochenen „Totstell-Modus“ herausholen? Die Frage ist: wie schaffen wir es, dass die große Masse der Menschen den sinnvollen Entwicklungen folgen wird? Dazu braucht es gute Beispiele und Vorbilder. Viele unsichere Zeitgenossen werden dann erkennen: Aha, das Leben kann auch anders funktionieren. Man darf aber nicht ungeduldig sein. Der Wandel braucht seine Zeit. Wenn die Leute erkennen, dass es andere Lebenskonzepte gibt, werden sie dieser Ausrichtung folgen. Eine weitere Frage stellt sich dabei: wo setzen wir an? Ich meine, wir müssen bei den ganz einfachen, menschlichen Grundbedürfnissen ansetzen: am Ende geht es um nichts anderes als um Zufriedenheit und Wohlbefinden. Auch Wirtschaftsentscheider in globalen Unternehmen sind fühlende Lebewesen. Wenn diese Menschen bemerken, dass gewisse Entwicklungen nicht gut für sie und ihr Unternehmen sind, werden sie ihre Ziele ändern. Und: wir müssen generell über das Menschsein nachdenken und parallel dazu an neuen Rahmenbedingungen feilen. Uns Fragen stellen, wie: Was ist sinnvoll, was nicht? Dazu braucht es die Betrachtungsweise von außen. Wenn du im System tief drinnen bist, kannst du das nicht reflektiert beurteilen. Könnte uns der gesunde Hausverstand, den wir heute oft ausgelagert haben, zu besseren Entscheidungen verhelfen? Das funktioniert nur dann, wenn du dir ganz sicher bist: so, wie ich denke und darüber spreche, das bin jetzt wirklich ich selbst und keine vorgefertigte Ideologie. Um deinen Hausverstand zu aktivieren und zu überprüfen, solltest du dich zeitweise aus deinem gewohnten Umfeld herausnehmen. Egal, ob du dich auf dem Jakobsweg begibst oder oder eine Zeitlang auf einer Alm arbeitest. Ist Humor eine Möglichkeit etwas zu ändern? Das wäre das allerwichtigste. Meine Erfahrung ist: die wirklich intelligenten Menschen können auch lachen. Die lachen über sich selbst, haben einen guten „Schmäh“ und nehmen sich selbst nicht so ernst. Das ist eine wichtige Grundlage, um etwas zu verändern. Was wünscht du dir persönlich für die Zukunft? Ich würde mir wünschen, dass bei der nächsten Nationalratswahl die ungültigen Stimmen alle gültig sind. Eine Bewegung der gültigen Stimmen, die sich selber wählt. Ziel wäre es aufzuzeigen, dass es viele Menschen gibt, die bei diesem Spiel nicht mehr mitmachen wollen. Nicht weil sie gegen Parteien oder die Demokratie sind, sondern weil sie gegen ein System auftreten, dass nicht mehr menschengerecht ist. Das bräuchte es und das werde ich auch machen... Web-Tipp: www.gueltigestimme.at Buch-Tipp: „Weltfremd?“ Von: Roland Düringer 416 Seiten Erschienen bei: edition a Fotos: Jeff Mangione (Titel), Lukas Beck Interview: Helmut Wolf
1 Comment
1/16/2016 15:34:15
I think I live a little bit in the same way. Really a good path. :)
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