Fast 7 Jahre unterwegs. 16.000 km. Zu Fuß. Paul Salopek auf den Spuren der Menschheit, die aus Afrika auswanderte und die Erde bevölkerte. Derzeit ist er in Indien. Auch hier zeigt sich: Schon immer waren Menschen unterwegs, auf der Suche nach einem besseren Leben... „Gehen bedeutet nach vorne zu fallen. Jeder Schritt, den wir unternehmen, ist ein verhafteter Sturz, ein abgewandter Zusammenbruch, eine abgebrochene Katastrophe. Auf diese Weise wird das Gehen zum Akt des Glaubens“ Paul Salopek, US-Journalist „Der Charakter eines Menschen spiegelt sich in seinem Gesicht. Doch wenn man über Kontinente wandert, lernt man nach unten zu blicken. Man begreift, wie wichtig Füße sind“. Im Jahr 2013 hat sich US-Journalist Paul Salopek von Äthiopien aus aufgemacht, jene Fußreise zu vollziehen, die bereits unsere Steinzeit-Vorfahren gegangen sind: Vom nördlichen Äthiopien, an einer der ältesten menschlichen Fossilienstätten der Welt, „Herto Bouri“, über den Mittleren Osten, durch Asien, über Alaska und den westlichen Rand Amerikas bis hinunter zur Südspitze Chiles. Eine Fußreise über rund 33.800 km. 25 Kilometer legt er in etwa pro Tag zurück. Konzipiert war, dass Salopek seine Reise innerhalb von sieben Jahren abschließen würde. Doch - die Weltwanderung wird weit länger andauern... „Überall, wohin ich kam, waren sie schon da: Migranten“, sagt der 57jährige, zweifache Gewinner des Pulitzer-Preises. Ob im Nahen Osten, in der Südtürkei, in Kasachstan, in Usbekistan oder rund um die schneebedeckten Gebiete Zentralasiens und deren beeindruckenden Gebirgslandschaften des Pamir, Hindukusch oder Karakorum. Ob am Punjab-Plateau in Pakistan oder auf den alten Pilgerwegen Indiens, aus allen Ecken der Welt verlassen Menschen ihre Heimatorte und machen sich auf den Weg – stetig auf der Suche nach einem vermeintlich besseren Leben. Mehr als 16.000 Kilometer hat Salopek bisher zurückgelegt. Auf den Spuren der ersten Migranten in der Menschheitsgeschichte. Etwa alle 150 km legt er einen Stopp ein, um seine Erlebnisse und Begegnungen auf seinem „Out of Eden Walk“ zu dokumentieren. „Ich bin ein privilegierter Fußgänger“. Klimawandel, technologische Innovation, politische Unruhen, Massenmigration, kulturelles Überleben... Oft mischt sich Salopek unter die Entwurzelten dieser Welt. Er schläft in staubigen UNO-Flüchtlingszelten in Jordanien, oder trinkt an trübseligen Raststätten in Dschibuti mit Flüchtlingen Tee. „Natürlich bin ich keiner von ihnen: Ich bin ein privilegierter Fußgänger. Mit Kreditkarte und Pass“, sagt Salopek. „Aber ich habe das Elend der Ruhr mit ihnen geteilt und bin viele Male von ihrem Erzfeind in Haft genommen worden: der Polizei. Eritrea, Sudan, Iran und Turkmenistan haben ihn Visa verweigert. Pakistan hat ihn hinausgeworfen - dann wieder hereingelassen. Die neue Mobilität der Menschheit hat die Welt schon jetzt verändert. Bei seinen Begegnungen spürt er oftmals, wie eng das Schicksal vieler Migranten mit der Entwicklung und Politik der globalen Welt verwoben ist. „Hunger, Ehrgeiz, Angst, politischer Widerstand: Die Gründe für Migration stehen nicht infrage“, sagt der US-Journalist. „Die Frage ist auch nicht, ob man dieser Entwicklung mit Angst oder Mitgefühl begegnet. Denn unabhängig davon, wie wir uns dabei fühlen: Die neue Mobilität der Menschheit hat uns und die Welt schon jetzt verändert.“ Bis zum Jahr 2050 werden mehr als 140 Millionen Menschen in Subsahara, Afrika, Südasien und Lateinamerika unterwegs sein, belegt eine Studie der Weltbank. Keineswegs freiwillig, sondern in erster Linie wegen den verheerenden Auswirkungen des Klimawandels. Mehr als eine Milliarde Menschen sind innerhalb ihrer Länder oder über Grenzen hinweg unterwegs, schätzen die Vereinten Nationen. Das ist einer von sieben Erdbewohnern. Noch nie waren so viele Menschen auf der Flucht wie heute: vor Krieg, Verfolgung, Kriminalität, politischem Chaos, aber auch vor erdrückender Armut. Dieser gigantische neue Exodus wurde auch durch andere Entwicklungen in Gang gesetzt: ein globalisiertes Marktsystem, das soziale Sicherheitsnetze zerreißt; ein gefährlich gewordenes Klima und schnelllebige Medien, die menschliche Sehnsüchte hochpuschen. Forscher vermuten, dass die Gründe für den ersten Aufbruch der Menschheit aus Afrika möglicherweise ähnlich lagen, wie heute. Nämlich: Ein drastischer Klimawandel und mörderische Hungersnöte. Salopeks Berichte, Fotografien, Videos und Audiodateien schaffen wertvolle Dokumente. Eine Art digitales Archiv unserer heutigen Menschheit. Von Dorfbewohnern, Nomaden, Händlern, Bauern, Soldaten und Künstlern... Menschengeschichten, die nur selten in die Öffentlichkeit dringen. Ein globales Mosaik aus Gesichtern, Klängen und Landschaften. Ein buntes Puzzle, dass auch jene Wege aufzeigt, die uns Menschen miteinander verbinden und sich mit den wichtigsten Geschichten unserer Zeit beschäftigt. Die Grundidee des sogenannten „Out of Eden Walks“, ist ein „Slow Journalism“-Projekt, das auf ein Jahrzehnt angelegt ist. Mit dieser Weltwanderung und -beobachtung, soll ein Gegenpol geschaffen werden, zu unserer schnelllebigen und oberflächlichen digitalen Medien-Welt. Unterstützt wird das Out of Eden Walk-Projekt von der „National Geographic Society“, sowie der „Knight Foundation“ und „Abundance Foundation“. „Was immer Flüchtlinge sein mögen – sie sind auf keinen Fall machtlos“, sagt Salopek. Noch weniger ähneln sie den karikaturhaften Eindringlingen, die Rechtspopulisten fürchten, sagt der erfahrene National Geographic-Journalist: barbarische Horden, die kommen, um Jobs und Wohnungen, Sozialleistungen, Sexpartner und alles andere in den wohlhabenden Gastländern an sich zu reißen. „Die Flüchtlinge, mit denen ich gewandert bin, sind Pharmazeuten, Ladenbesitzer und Intellektuelle. Also normale Leute, die versuchen, mit den spärlichen Möglichkeiten zurechtzukommen. In Erinnerung an ihre Toten legen sie die Hände vors Gesicht und weinen. Im nächsten Moment sind sie unglaublich stark und großzügig...“ Derzeit läuft Salopek durch Indien. Und auch hier zeigt sich: Die Wahl der Schuhe - und ebenso wie ihr Fehlen - sagt etwas über die persönliche Geografie eines Menschen aus: Wohlstand oder Armut, Alter, Art der Arbeit, Ausbildung, Geschlecht, Stadt versus Land. Die Legionen von Migranten weltweit könne man nach ihren Füßen klassifizieren. „Wirtschaftsmigranten, jene Millionen Notleidender, die zumindest etwas Zeit zum Vorausplanen haben, scheinen den billigen chinesischen Unisex-Mehrzweck-Sneaker zu bevorzugen“, sagt der Journalist. Kriegsflüchtlinge, die vor Gewalt fliehen, müssen ihre Schreckenswege hingegen in Flip-Flops, Slippern, hochhackigen Schuhen oder in Stiefeln aus Lappen antreten...
„Hier ist es sehr, sehr langweilig“, erklärte ihm ein jugendliches Mädchen in Bihar, einem der ärmsten Staaten Indiens. „Meine Lehrer sind langweilig. Was machen Sie?“, fragt sie den Weltenwanderer Salopek. In ihren Augen leuchteten Wille und Intelligenz. Schon bald würde sie den beschwerlichen Weg auf sich nehmen, um in einer von Indiens rasant anwachsenden Mega-Städte ihr Glück zu versuchen. Keine Mauer würde hoch genug sein, um sie zurückzuhalten. Wo wird sie landen? Niemand weiß es. „Es zählt nur eines", sagt Salopek: „Weitergehen.“ Die Schuhe des Mädchens jedenfalls waren robust... Web-Tipp: www.outofedenwalk.org Fotos: John Stanmeyer, Paul Salopek, Instagram Quelle: National Geographic Text: Helmut Wolf
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