Künstliche „Mini-Gletscher“ anlegen? Der Ingenieur Sonam Wangchuk, 50, hat ein spannendes Projekt im indischen Ladakh initiiert: „konische Eishügel“ sollen „Kältewüsten“ in Hochgebirgsregionen reanimieren... Buddhistische Kultur, Hochgebirgslandschaften. Ladakh und Tibet. Zwei Regionen in Asien mit überaus ähnlichen geografischen und kulturellen Strukturen. Da ist zum einen die buddhistische Kultur, zum anderen eine weitgehend hochgebirgige Landschaft - mit einer Reihe von Bergen über 7.000 Metern. Selbst die Täler befinden sich noch auf einer Höhe von 3000 m. Und dennoch: trotz Höhenmeter fehlt es in den „Kältewüsten“ Ladakhs an Wasser für die Menschen und Bauern. Die Region Ladakh liegt im indischen Bundesstaat Jammu and Kashmir, auf 3.500 Metern, zwischen Kunlungebirge und dem Himalaja. Die hier lebenden 280.000 Menschen – Buddhisten, schiitische Muslime und ethnische Minderheiten – leiden im April und Mai unter Wasserknappheit. Das weiß auch Sonam Wangchuk, der im Dorf Uleytokpo in Ladakh geboren wurde. Den größten Teil seines bisherigen Berufslebens verbrachte er mit Überlegungen, wie die Probleme der Menschen in Hochgebirgsregionen gelöst werden können. Schulbildung, klimagerechtes Wohnen und in den vergangenen Jahren auch Verfügbarkeit von Wasser: dies sind die großen Herausforderungen vieler Bewohner in den Hochgebirgsregionen der Welt. Auch in Ladakh, einer Region die bekannt ist für die Schönheit seiner entlegenen, hohen Berge und für ihre tibetisch-buddhistische Kultur. Wie in vielen Gegenden der Welt spiegelt sich auch hier, zwischen den Gebirgsketten des Himalaya und des Karakorum, der Klimawandel. Die Gletscher schmelzen und das Wasser rinnt teilweise in Form zerstörerischer Fluten in die Täler. Gletscherschmelzwasser „einfrieren“. Schon während seines Maschinenbaustudiums, hat sich sich Sonam Wangchuk (Foto links), 50, für Naturschutz interessiert. Vor allem für erneuerbare Energien und „Lehmbauarchitektur“. Der ladakhische Ingenieur gelangte zu der Überzeugung, dass die Wasserversorgung hochgebirgiger „Wüstenlandschaften“ und abgelegener Städte und Dörfer von Ladakh verbessert werden kann, wenn es gelingt, das abfließende Schmelzwasser einzufrieren. Die Idee kam ihm, als er eines Tages im Dorf Phey auf 3.000 Meter unter einer Brücke Eis vorfand: „Ich sah, dass unter einer Brücke noch Eis war, obwohl das Dorf der wärmste Ort der ganzen Region ist - und obwohl es schon Mai war“, erzählt Wangchuk erstaunt. Minigletscher „Eistupa“. Wangchuk entwickelte nach diesem Aha-Erlebnis ein erstaunlich einfaches und effektives System: er begann konische Eishügel anzulegen, so genannten „Eisstupas“, die sich wie Minigletscher verhalten und in der Zeit, in der die Pflanzen Bewässerung brauchen, langsam schmelzen. Das Prinzip leuchtet ein: konische Eishügel haben die geringste Oberfläche und schmelzen deshalb selbst in der Sonne weitaus langsamer als flache Eisfelder. Eisstupas gegen Wasserknappheit. 2014 war ein erster Erfolg dieses spannenden Projekts zu verzeichnen: der sieben Meter hohe, erste Prototyp hielt bis zum 18. Mai. Der Wissenschaftler Wangchuk wurde ersucht - im nur wenige Kilometer von Phey entfernt liegenden Klosters Poyang - Eisstupas zu bauen, um die Wasserknappheit in der Landwirtschaft zu beheben. Gemeinsam mit den Mönchen des Klosters organisierte er eine Crowdfunding-kampagne, die die Kosten einer 2,3 Kilometer langen Pipeline bis hinunter zum Dorf deckte. Unten entstand ein Eisstupa von 20 Metern Höhe, der im folgenden Jahr (2015) bis Anfang Juli hielt und 1,5 Millionen Liter Schmelzwasser für die Bewässerung der 5.000 von Dorfbewohnern und Mönchen angepflanzten Bäume lieferte. Der Erfolg dieses Projekts war der Startschuss zu Wangchuks neuestem und sehr ehrgeizigem Projekt: in Phyang will er bis zu 20 Eisstupas von rund 30 Metern Höhe anlegen. Diese liefern jeweils zehn Millionen Liter Wasser. Zudem plant er ein umfangreiches Aufforstungsprogramm, sobald das neue Schmelzwassersystem eingerichtet ist. Für dieses Projekt wurde der ladakhische Ingenieur auch mit dem „Rolex Awards for Enterprise“ ausgezeichnet. „Das Preisgeld wird dieses Projekt mitfinanzieren und die Eisstupas als Klimaanpassungsmaßnahme und Begrünungstechnik für die Wüste fördern“, freut sich Wangchuk. Zukunftslösungen für Menschen im Hochgebirge. Zurzeit arbeitet Sonam Wangchuk an der Planung der alternativen Hochschule für die Entwicklung von Gebirgsregionen, die auf einem vom Dorf zur Verfügung gestellten 65 Hektar großen Gelände entstehen wird. An dieser Hochschule sollen junge Menschen aus Ladakh, dem Himalaja und anderen Gebirgsregionen Lösungen für die Herausforderungen entwickeln, mit denen sie konfrontiert sind. Das Experiment mit den Eistupas dient dabei als gutes Beispiel, wie aus Ideen Zukunftslösungen entstehen können... Web-Tipp: www.rolexawards.com Fotos: Rolex/Stefan Walter, Sonam Wangchuk Text: Helmut Wolf
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