Begegnung mit einer arabischen Frau. Sadia. Fotojournalist Harald Schaffer hatte in Marokko ein ungewöhnlich offenes Gespräch, das viel über die Herausforderungen der Frauen in der arabischen Männergesellschaft aufzeigt. Ein Gastkommentar! „Ich weiß nicht, ob es nur die Probleme arabischer Frauen sind. Die erste Reaktion einer Freundin, als ich ihr von dem Interview erzählte, lautete: „Mir geht es ähnlich. So viel anders ist das bei uns doch auch nicht.“ Nun, das ist vielleicht übertrieben. Zumindest etwas leichter haben es Frauen in Europa üblicherweise schon, wenn sie sich auf die Beine stellen und nicht mehr so „funktionieren“, wie es die Männerwelt von ihnen erwartet. Selbst einem liberalen arabischen Land wie Marokko sind wir diesbezüglich doch zumindest ein halbes Jahrhundert und mehrere Generationen selbstbewusster Frauen voraus. Wie auch immer - hier die Geschichte von Sadia... Zwischen Schleier und Bikini. Vorspiel: Strandtag in Essaouria, einem kleinen Touristen- und Fischereistädtchen an der Atlantikküste. Unmittelbar neben Touristinnen im Bikini liegen zünftig verhüllte Marokkanerinnen. Sogar Fußball gespielt wird in Schleier und Djellaba. Und in Schleier und Djellaba plantschen Mütter mit ihren Kindern im Wasser. Die Sonne brennt vom Himmel und ich komme aus dem Kopfschütteln nicht hinaus: Wieso fühlen sich muslimische Frauen sogar am Strand zu einer solchen Kleiderordnung verpflichtet? Am nächsten Tag bin ich bei Sadia eingeladen. Sie habe ich einige Wochen zuvor bei einer Sammeltaxifahrt kennengelernt. Ich sitze mit ihr und ihrem Mann in ihrem gediegen eingerichteten Haus am Rand von Essaouira beim Essen. Wie immer bei Einladungen einer arabischen Familie, gibt es „kein Erbarmen für den Gast“. Das heißt: Der Gast darf nicht nur behaupten, dass es ihm schmeckt - er muss es beweisen! Nach der Nachspeise, und drei Tassen Tee, passiert etwas, das mich nach allem, was ich bisher mit arabischen Familien erlebt hatte, erstaunt. Sadias Mann geht mit Freunden in ein Café - und lässt mich mit seiner Frau alleine. Das ist meine Chance: Ich erzähle ihr von meiner Verwunderung über die Frauen, die sich am Strand mit voller Montur „abkämpfen“ und werfe ihr die Frage an den Kopf, wie sie darüber wirklich in ihrem tiefsten Inneren denkt. Die meisten anderen Frauen hätten meine Fragen abgeblockt. Nicht Sadia. Sie sagt von sich selbst, sie ist keine traditionelle, arabisch-marokkanische Frau. Sie hat vor ihrer Ehe studiert. Hat im Tourismus gearbeitet und war sogar die erste weibliche Fremdenführerin in Essaouira. „Sonst würde ich gar nicht hier sitzen“, so ihre Aussage. Umso bemerkenswerter ihre Antwort: „Männer werden von Frauen angezogen. Das ist normal. Frauen dürfen daher nicht verführen. Ihre Kleidung muss unscheinbar sein. So wie Touristinnen herumlaufen, ist es kein Wunder, dass Männer ihnen nachschauen. Und sag mir nicht, dass das der Fehler der Männer ist.“ Ich bohre nach, ob eine solche Kleidung am Strand nicht eine Zumutung sei? Natürlich, meint sie: „Es ist nicht gut, wie sich Frauen abschwitzen müssen.“ Aber sie hat einen Lösungsvorschlag. Es sollte getrennte Strände geben: einen Strand für Mütter mit Kindern, und einen Strand für Väter und ihre Söhne ab 14 Jahren... „Mit mir, dem Fremden, kann sie offen darüber reden...“ Im Laufe des Nachmittags wird mir klar, dass ich bei Sadia mit meiner Frage in eine offene Wunde gestochen habe. Durch Ehe und Kinder ist sie in ein Leben hineingeschlittert, das weit weg von dem ist, was sie sich als junge Studentin erträumt hat. Und mit mir, dem Fremden, kann sie offen darüber reden ohne ihr Gesicht zu verlieren. Ihr Mann hat bei seiner Arbeit als Kunst- und Teppichhändler den ganzen Tag mit Touristinnen zu tun - und läuft ihnen hinterher. Von ihr, seiner Frau zu Hause, fordert er, wie alle arabischen Männer, dass sie als Hausfrau, Mutter und Bedienerin „funktioniert“. Und Sadia leidet massiv unter dieser Einstellung. Sie kämpft mit Depressionen und mit massenhaft Kaffee und Zigaretten versucht sie sich zu stimulieren. „Arabische Männer sind nie da“. Ich kann es nicht lassen sie weiter zu provozieren und frage: „Warum lässt du dir das von deinem Mann gefallen? Auch in Europa haben sich Frauen ihre Rechte erkämpfen müssen.“ Sadia schüttelt den Kopf und meint: „Das ist ein Kampf, den du als Frau nicht gewinnen kannst. Arabische Männer sind nie da. Und wenn sie da sind, gehen sie, wenn du ihnen was sagst. Als Frau musst du alles tun, um die Ehe zu retten. Gut oder nicht gut, es muss weiter gehen, sagt Sadia. Du kannst dich nicht scheiden lassen. Das wird in der arabischen Gesellschaft nicht akzeptiert. Männern ist es egal. Sie sagen einfach Ciao Ciao, wenn es nicht gut läuft.“ Sie hält kurz inne und fügt dann fast tonlos hinzu: „Es gibt Tage, an denen mich das alles überfordert“... Harald Schaffer arbeitet als freier Fotojournalist mit Schwerpunkt auf Reise- und Reportagefotografie. Seinen Marokkovortrag zeigt er im gesamten deutschsprachigen Raum. Neue Termine gibt es wieder ab September 2019. Neben der einen oder anderen Reportage über die marokkanische Gesellschaft zeigt er in dem Vortrag auch Bilder vom einer Kameltrekking-Tour in der Wüste, von einer Winterbergtour im hohen Atlas und von den Souks von Marrakech. Ein Vortrag der beißt und sticht, aber auch verzaubert... Web-Tipp: www.haraldschaffer.at
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