Unterwegs am „Luchs-Trail“? Alleine. Das ist nicht nur ein entschleunigendes Naturerlebnis. Dass die scheue Waldkatze in „Österreichs wilder Mitte“ wieder herumstreift, lässt einem Natur und Umwelt noch viel bewusster wahrnehmen. Wandern - auf den Spuren des Luchses und schrittweise auch zu sich selbst... „Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen“ Johann Wolfgang v. Goethe Seit einem Jahr steht die Überlegung im Raum. Oder, vielmehr der sehnliche Wunsch, dort zu wandern, wo intakte Naturlandschaften eine gewissen Unberührtheit ausstrahlen. Weg vom strukturierten, digitalisierten Alltag, hinein in alte Wälder, über einsame Pfade und felsige Wege, am Weg zum nächsten Ziel – und vielleicht auch zu manch‘ neuer Einsicht und Perspektive. Der Name „Luchs-Trail“, der durch die drei Schutzgebiete Kalkalpen, Gesäuse und Dürrenstein führt, lässt sofort ein Bild entstehen: Dichte (Ur-)Wälder und Naturoasen, mit Uraltbäumen, „lebendigen“ Totholz und moosbewachsene Baumstämmen, steile Felswände und markante Berge ringsum – und irgendwo der Luchs, der hier seit einigen Jahren seinen Lebensraum gefunden hat... Eines vorweg: Auch wer nur ein kleines Teilstück des Trails bewandert, wird in den Genuss toller Ausblicke, vieler Ruhemomente und einer Dichte an Pflanzen, Blumen und duftenden Kräutern kommen, die wirklich einzigartig ist. Eine Naturvielfalt, die spürbar Kraft und Energie spendet und so manche heilende Wirkung entfaltet... 11 Etappen. 220 km. 12.000 Höhenmeter. Ja, Länge und Höhenmeter des „mittelschweren“ Luchs-Trails zeigen auf: hier handelt es sich um keinen einfachen Waldspaziergang. Etwas Kondition und Trittsicherheit sind durchaus erforderlich. Aber - selbst eine (kleinere) Tour durch eines der letzten, großen Wildnisgebiete Mitteleuropas, zahlt sich in jedem Fall aus. Die Belohnung für so manch schweißtreibenden Höhenmeter, erwandert, erfährt und „erspürt“ man stetig und konstant: Das sanfte Rauschen der Blätter im Wind, die unterschiedlichen Vogelstimmen aus den Ästen, Walderdbeeren und Orchideen am Wegesrand, die Bergspitzen, die immer wieder sichtbar sind... Viele Pflanzenarten, wie den Nordosten-Alpenmohn oder die Clusius-Primel, findet man ausschließlich in den nördlichen Kalkalpen. Wildnis, im besten Sinne, die sich ausbreiten und ungehindert entfalten kann… Der Weitwanderweg führt durch gleich drei Schutzgebiete. Innerhalb der Buchenwälder, bewegt man sich teilweise sogar durch Urwaldreste – und durch Österreichs einziges UNESCO-Weltnaturerbe. Die Nationalparks Kalkalpen und Gesäuse sowie das Schutzgebiet Dürrenstein, umfassen das größte, zusammenhängende Waldgebiet des Landes. Bäume „dürfen“ hier wachsen und sterben, wie es die Natur vorsieht. Das ergibt: eine unglaubliche Vielfalt an Baumarten, wie Schneeheidekiefern und sub-alpine Lärchenwälder. Viele Pflanzenarten begegnen einem nur hier: Alleine über 50 Orchideenarten sind zur Blütezeit zu bewundern. Rund 500 Schmetterlingsarten flattern auf den Almen herum. Seltene Vogelarten wie Schlangenadler und Zitronengirlitz ziehen hier ebenso ihre Kreise. Dass in dieser außergewöhnlichen Naturlandschaft auch der Luchs wieder seinen Lebensraum gefunden hat, verwundert da nicht... Schon die Vorbereitung auf die dreitägige Tour lässt einem ruhig und achtsam werden: Was brauche ich „wirklich“ mit? Wie den Rucksack „richtig“ packen? Eines nach dem anderen, und nicht ständig zwischendurch andere Dinge anfangen oder sich mit dem Handy beschäftigen... Merke: Alles, was mitgenommen wird, muss auch im Rucksack mitgetragen werden! Und da kann sich das Fernglas oder die Schuhe für die Hütte auf Dauer (und mit Höhenmetern) ziemlich „anhängen“. Bei Wasser und Proviant kann nicht gespart werden. Schlafsack und Polsterüberzug müssen in diesen Zeiten ebenfalls mit. Doch auch hier eine Erkenntnis: Das Bewusstsein für die wirklich wichtigen, notwendigen Dinge, die man braucht – beim Wandern ebenso, wie im Leben und Alltag... Start ist die Laussabaueralm im Nationalpark Kalkalpen. Das Ziel für heute – das Admonter Haus - rd. 900 Höhenmeter Aufstieg. Eigentlich ein Teilstück von der 3. Etappe des Trails, aber eine wunderbare Möglichkeit, den Übergang von der waldreichen Landschaft der Kalkalpen in das raue, felsige Gesäuse zu erleben. Ebenso eine gute Gelegenheit vorab den Worten Franz Sieghartsleitners vom Nationalpark Kalkalpen zu lauschen. Er gilt als profunder Kenner alpiner Fauna und Flora und seine Begeisterung für den Erhalt der Natur wird in jeder Silbe deutlich. „Die Buche hat 8.000 Jahre gebraucht, bis sie hierhergekommen ist. Das haben Pollenanalysen ergeben“, erzählt er beim Blick in die Fichten-Tannen-Buchen-Wälder des Hengstpasses. Oft schläft der Luchs nur ein paar Meter vom Wanderweg entfernt, das haben Senderdaten ergeben, erzählt Sieghartsleitner – und schmunzelt: „Der Luchs ist ein Opportunist, der ist auch gerne auf Wanderwegen und Forststraßen unterwegs“. Freilich, zumeist in der Dämmerung und Nacht. Aber auch tagsüber, wie Rückmeldungen von Jägern und Wanderern bestätigt haben... Sechs Luchse streifen derzeit durch „Österreichs wilde Mitte“. Zur Paarungszeit, im Februar und März, kann man die männlichen Luchse („Kuder“) manchmal hören: „Das klingt wie ein schreiendes Baby“, sagt Franz Sieghartsleitner, der als einer der Initiatoren des Nationalparks Kalkalpen gilt. Viele Jahre war der Luchs hierzulande „verschwunden“. Erst durch Wiederansiedelung – zuerst in der Schweiz – konnte der Luchs (Lynx lynx) seit 2011 auch in österreichischen Regionen wieder Fuß bzw. „Pfote“ fassen können. Obwohl alle sechs Luchse reproduktionsfähig sind, gibt es im Moment leider keinen Nachwuchs, erzählt Sieghartsleitner. Warum? „Das wissen wir nicht genau“ so der Natur-Experte. „Das kann Aufgrund von Inzuchtdepression ebenso sein, wie die harten Wintermonate, wo die Nahrungssuche extrem schwierig ist“. Um von einem gesicherten Luchs-Bestand zu sprechen, brauche es jedenfalls rund 30 Tiere. Die Auswilderung neuer Luchse steht deshalb schon seit längerem im Raum... „Es gibt die Wettervorhersage und dann gibt‘s das echte Wetter“, lacht Hüttenwirt Gottfried Härtel, der neue Pächter vom Admonterhaus. Gerade hat es geregnet, schon scheint wieder die Sonne. Das Wetter ist so wechselhaft und abwechslungsreich, wie die Landschaften, die durchwandert werden. Herrlich ist es, wenn man aus dem Waldgebiet auf den „Großen Seeboden“ heraustritt: Ein beeindruckender, großflächiger Talkessel tut sich da auf, umrahmt von mächtigen Kalkfelsen. Die ersten, schroffen „Gebirgsboten“ des Gesäuses tun sich auf. Duftende Kräuter ringsum, ein rauschender Bach, und - nein, doch kein Luchs! – Gemsen laben an saftigen Gräsern der Hochalm-Wiesen. Das Admonterhaus ist die höchste Hütte des Gesäuses, auf 1.723 m. Sie liegt sehr exponiert, thront förmlich auf einem Grad - mit Blickrichtung Admonter Becken und südliches Gesäuse auf der einen, und Seeboden und Kalkalpen auf der anderen Seite. Der Sonnenaufgang vom „Admonter Kreuz“ aus - ca. 15 Gehminuten von der Hütte entfernt -, gilt als legendär... allerdings nur für Frühaufsteher ;-) Wer auf der Berghütte nächtigt, kann die Naturerlebnisse noch einmal in Ruhe reflektieren. Oben in den Bergen gibt es wenig Ablenkung - und kein WLAN. Man teilt Gedanken mit anderen Wanderern, freut sich über das erreichte Tagesziel und bespricht die Tour am nächsten Tag. Bei einem spritzigen „Radler“ und „Steirischen Gröstl“ aus dem Pfandl , erzählt Hüttenwirt Gottfried von seinen vielen Stationen als Hüttenwirt. Stolz erzählt er von der Bewirtschaftung der Berghütte unterhalb des Sonnblicks und den unvergleichlichen (Sommer-)Monaten in den Bergen. Alles, was im Admonterhaus konsumiert wird, muss zu Fuß oder per Hubschrauber transportiert werden. Das Trinkwasser wird von einer Quelle hochgepumpt. Bevor man das Handy aufladen möchte, muss Gottfried auf den Energiestand aus der PV-Anlage schauen: „Einmal aufladen = 1 Euro für Bergrettung“, schmunzelt der Hüttenwirt. Es wird einem bewusst, wie kostbar Energie und Ressourcen eigentlich sind. Die Nacht ist sternenklar. Und wer das Privileg hat, sein Bett direkt am Fenster zu haben, kann den funkelnden Sternenhimmel sogar aus dem Schlafsack heraus betrachten. Traumhaft - das schönste Geschenk heute... Strahlenden Sonnenschein und angenehme Kühle bringt der nächste Tag. Das Gesäuse zeigt sich von seiner sanften Seite. In den Bergen zu erwachen, gehört zu den schönsten Momenten – besonders für einen Städter. Ein Fotograf hat die wolkenlose Nacht im Freien für Sternenfotos genutzt. Er zeigt ein Handyvideo von einem gar nicht scheuen Fuchs, der den Fotografen die Wurstsemmel stibitzt… Hätte der Luchs so etwas gewagt? Heute geht es rd. 1.100 Höhenmeter runter ins Tal (nach Hall/Admont), mit dem Sammeltaxi zum Gstatterboden und dann 1.000 Höhenmeter hinauf zur Ennstalerhütte. „Ein Startschnapserl?“, lächelt Hüttenwirt Gottfried nach dem Frühstück. Lieber nicht - das könnte doch einen Ausrutscher ergeben… Aber auch ohne Schnapserl: Zwei, drei Mal nicht am Weg geschaut, und fast am rutschigen Hang hingefallen. Die Erkenntnis: Lieber konzentriert an einer Sache dranbleiben und das ordentlich machen, als mehrere Dinge auf einmal und keines so richtig – Stichwort: „Monotasking“. Beim Aufstieg zur Ennstalerhütte (1.544 m), fragt man sich irgendwann: Waren das dritte Shirt, die Zusatzhose und dicke Jacke wirklich notwendig? Der Mehrtagesrucksack wird irgendwie schwerer... Das langsame, stetige Bergaufgehen, gerät zum Kräftemessen mit dem eigenen Körper. Gleichzeitig tritt ein meditativer Flow ein: Ein Schritt nach dem anderen. Gleichmäßig Atmen, Trekking-Stöcke effizient einsetzen, regelmäßig trinken. Ausruhen, die Umgebung betrachten. Weitergehen... Der Blick auf die Bergspitzen der mächtigen Hochtorgruppe, vermitteln Demut und Respekt. Durchgeschwitzt bei der Ennstalerhütte angekommen, lasst einem der beeindruckende Rundumblick auf die Bergwelt des Gesäuses, schnell alle Mühsal vergessen. Das Panorama auf die vielen „2.000er“ - Hochtor, Lugauer, Kalbling, Sparafeld, Großer Buchstein & Co. - gehören zum Highlight der Tour. Auch die liebevoll zubereiteten Speisen des freundlich-bemühten Pächterehepaars Burgi und Ernst Brunnmayr, machen einen Besuch auf der Ennstalerhütte absolut lohnenswert. „Luchse sind nicht scheu“, sagt Franz Sieghartsleitner. Das haben besenderte Luchse gezeigt, die ihre Wege auch untertags durch baumfreies Gelände gewählt haben. Zumeist jedoch wittern sie den Wanderer schon früh, und entziehen sich der Beobachtung – auch dem alleinigen Wanderer... In jedem Fall trägt die Wildkatze mit den spitzen Ohren, den Backenbart und breiten Pfoten, zur vielfältigen Population der Wildnislandschaft bei. „Seit es hier mehr Luchse gibt, gibt es auch mehr Adler, weil diese vom Aas der Luchsbeute profitieren“, so Sieghartsleitner. Auch hier zeigt die Natur: Alles hängt mit allem zusammen. Auch der Mensch ist Teil dieses Ökosystems. Und nur wenn „er“ es will und akzeptiert, dann wird der Luchs wieder einen Lebensraum in Mitteleuropa finden können... „Irgendwie ist das alles auch eine Form der Zivilisationsflucht“, sagt eine Wanderin am Abend auf der Terrasse der Ennstalerhütte. Bei einem gemütlich-herzhaften Essen, mit Blick auf die in Orangefarben-getränkte Bergkulisse des Gesäuses, werden Gedanken frei, die im Hamsterrad des Alltags zumeist keinen Platz mehr finden. Es sind genau diese Momente, die man „hier oben“, weit weg von all den Sorgen und unruhigen Zeiten, einfach nur genießt und die später ihren Eintrag im Buch der Erinnerungen finden... Wie schnell Wind und Wetter in den Bergen drehen können, beweist die aufziehende Gewitterfront. Gerade noch waren Berge und Wälder in warmes Abendlicht getunkt, da verwandelt sich die Landschaft in ein dunkles, grau-nebeliges Einerlei. Rasch flüchten wir alle in die Hütte. Und in der Nacht wiegt einem das Prasseln des Regens in den Schlaf. Was wohl der Luchs in solchen Momenten macht... In 11 Etappen Durch Österreichs wilde Mitte Der Luchs Trail führt von Reichraming in Oberösterreich, durch die drei Schutzgebiete Kalkalpen, Gesäuse und Dürrenstein, bis nach Lunz am See in Niederösterreich. Insgesamt: 12.000 Höhenmeter und über 220 Kilometer. Der Weitwanderweg verläuft durch ein artenreiches „Waldmeer“, über alpine Pfaden und Almen mit vielseitiger Fauna und Flora und mündet schließlich am romantischen Bergsee in Lunz am See. Sogar kleine Urwaldflächen passiert der Wanderer. Hauptsächlich ist man auf „mittelschwierigen“, Bergwanderwegen unterwegs. Empfohlen sind kleinere, individuelle Wanderungen auf Teilausschnitten des Luchs Trails. Und die Übernachtung in den authentischen Berghütten, wie Admonterhaus, Ennstaler und Ybbstaler Hütte. Wer es komfortabler - und rückenschonender - anlegen möchte, dem sei der Gepäckservice der „Trail Angels“ ans Herz gelegt. Die „Angels“ bringen das Reisegepäck in die vorgebuchte Unterkunft, während man mit dem leichten Tagesrucksack wandert. Und: Man kann sich auch mit Nationalpark-Rangern auf die Suche nach dem Pinselohr machen. Die umweltfreundliche Anreise mit Zug und Bus zu allen 11 Etappen ist ebenfalls möglich. Infos: www.luchstrail.at Radio-Tipp: Das Nationalparkradio zum „Luchs Trail“ (ca. 55 Minuten) Buch-Tipp: „Luchs Trail – Durch Österreichs wilde Mitte“ Von: Franz Sieghartsleitner Umfang: 144 Seiten – Softcover Erschienen bei: Kral Verlag Vielen Dank an Andreas Hollinger und Franz Sieghartsleitner für die tolle Zusammenarbeit! Luchs-Fotos: Luchsin „Kora" - Kronsteiner / ÖBF Reportage & Fotos: Helmut Wolf
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