Stille Wälder, Wiesen, Fjorde - und die Erkenntnis: man braucht oft nur eine heiße Tasse Kaffee, um wirklich glücklich zu sein. Der Olavsweg in Mittelnorwegen eröffnet einem diese und viele andere, neue (Lebens-)Perspektiven. Reportage! „Quiet is the New Loud“ Kings of Convenience Wie sollen wir 140 km Distanz schaffen? Zu Fuß? Etliche Höhenmeter überwinden, über sanft-hügelige Landschaften. Durch tiefgrüne Wiesen und Wälder, über Hochmoore und Weiden, auf Landstraßen, durch Bauernhöfe, Dörfer und Siedlungen marschieren? Bei oft kühlen (Meeres-)Wind und rasch wechselnden Wetterverhältnissen - auch im Juli und August. Täglich gehen, zwischen 20 und 30 km? Und das mit schweren Rucksack am Rücken und Beinen, die zwar bisher Tageswanderungen in den Alpen immer gut überstanden haben, aber noch keine sechstägige Tour kennen? Gedanken, die einem noch kurz vor Beginn der Wanderung zwischen dem Örtchen Berkåk und dem Ziel Trondheim durch den Kopf gehen. Aber bereits nach dem ersten Tag sind die Zweifel plötzlich wie verflogen... Gleich vorweg: der St. Olavsweg in Norwegen ist auch für den durchschnittlich bewegungsfreudigen (Genuss-)Wanderer eine lohnende Strecke. Genauer gesagt, wer sich für ein „Teilstück“ des Weges entscheidet. Denn, wer die doch manchmal anspruchsvolle, insgesamt 643 km lange Gesamtstrecke zwischen Oslo und Trondheim „bewandern“ möchte, müsste sich doch etwa vier Wochen Zeit - und viel Ausdauer - nehmen. Etwas Kondition, wasserabweisende Funktionskleidung und gute Wanderschuhe sind aber auf allen Teilstrecken Pflicht. Und auch wenn der „Gudbrandsdalseden“, wie die ursprüngliche Bezeichnung des längsten Pilgerweges in Norwegen heißt, kein klassischer Wanderweg mit ausgesuchten Wanderrouten ist, so wird man hier mit unvergleichlichen Naturlandschaften, interessanten Begegnungen und eine Reihe von (Selbst-)Erkenntnissen belohnt... Es gibt immer einen Weg. Oder einen Ausweg... Auch wenn sich manche Strecke als steil, steinig und allzu beschwerlich erweist. Selbst wenn es in Strömen regnet und auf 9 Grad abgekühlt, wie das in Norwegen auch im Hochsommer manchmal passiert, so kann einem schon kurze Zeit später wieder die Sonne ins Gesicht lachen und ein tiefes Glücksgefühl ereilen. Plötzlich spürt man, gerade noch schwitzend und keuchend, eine tiefe innere Zufriedenheit. Ob das an der wunderschönen, saftig-grünen Landschaft liegt, die sich dem Wanderer immer wieder eröffnet, oder an der Freude, wieder ein paar Wegkilometer mit eigener Muskelkraft geschafft zu haben, ist dann eher Nebensache. Was zählt ist der Moment, das Hier und Jetzt. Weit weg erscheinen Hektik, Stress und Alltagssorgen... In Norwegen wird es nicht dunkel im Sommer. Auch wenn man um zwei Uhr in der Nacht aufwacht und durch das Fenster des urig-charmanten Bauernhofs Meslo Gård blickt, „scheint“ die Welt wie mit einem hell leuchtenden Schleier überzogen. „So manch einer fängt dann um Mitternacht an sein Haus neu zu streichen“, schmunzelt die quirlige Bäuerin Ingrid Meslo. Die sympathische Gastwirtin, die neben der charmanten Pilger-und Wanderherberge auch den Bauernhof alleine „schupft“, ist der Inbegriff von Lebensfreude und des norwegischen Vertrauensprinzips: „Sollte ich nicht zuhause sein, so legen sie bitte das Geld nach der Übernachtung auf den Tisch...“ verkündet schon ihr Willkommensschild. Wir hören später, dass sie vier Tage nicht Zuhause war, der Kühlschrank jedoch voll gefüllt und die Übernachtungsräume offen stehen für alle Olavsweg-Wanderer... Was braucht man wirklich? Auf einer Wanderung? Im Leben? Spätestens am zweiten oder dritten Wandertag, entsteht eine Form von „Flow“. Ein Gefühl innerer Klarheit und Ruhe stellt sich ein: Aufstehen – Frühstücken – Rucksack packen – Gehen... Das tägliche Gehen wird zum Ritual, zum „Zeit-Raum“. In diesem Zeit-Raum lassen sich Gedanken ordnen, man bespricht ein Thema, geht lange schweigend durch den Wald, sucht das nächste, rote „Olavsweg“-Hinweiszeichen, um am richtigen Pfad zu bleiben. Oft sind nur die eigenen Schritte zu hören, das Plätschern des Baches, der Wind der durch die Blätter der Bäume streicht, die Stille am See... Vogelgezwitscher wird zur Hintergrundmusik. Wer länger zu Fuß unterwegs ist in der Natur, bemerkt, wie sich von mal zu mal die Sinne schärfen. Man wird Teil der Natur, ist ganz bei sich selbst. Ein selten schönes Gefühl... „Jeder Wanderer öffnet auf diesem Weg ein Fenster. Tritt in seinen Raum und findet dort etwas anderes“, sagt Hans, der sympathisch-fröhliche Holländer. Hier gibt es kein schneller, höher, weiter, sondern das Motto: der Weg ist das Ziel. Wo liegt der Unterschied zwischen einer klassischen Wanderroute und einem Pilgerweg? Der aus Amsterdam stammende Wanderer, hat schon viele Pilgerwege in Europa beschritten. Seine Erkenntnis: du musst kein Pilger sein, um am Olavsweg zu gehen. Die Besonderheit liegt vielmehr darin, auf historischen Wegen unterwegs zu sein. Das können heute auch Wegabschnitte auf Asphaltstraßen und Querungen durch Bauernhöfe sein. Als Namensgeber des „Olavsleden“ gilt Olav Haraldsson. Ein mutiger König aus dem 10. Jahrhundert, der - teils Wikinger, teils Christ - einst große Teile Norwegens vereinte und heute als Nationalheiliger im Land gilt. Auch wenn die Grenzen zwischen Pilger und Wanderer unscharf sind, ist am Olavsweg doch etwas anders. Es ist kein Wandern in den Alpen mit „Hüttengaudi und Schnapserl" am Abend. Am Olavsweg werden Wanderer zu Community, zur Gemeinschaft. Man trifft sich Abends in der Herberge wieder, bereitet gemeinsam das Essen zu, tauscht sich aus, führt manchmal auch tiefgründige Gespräche. Spaß und Freude kommen dabei aber nicht zu kurz: die freundlich-herzliche Familie aus dem Salzkammergut, Annemarie, Marie-Luise und „Peppi“, die beiden „reschen“ Damen aus dem deutschen Münsterland, das sympathische Pärchen aus Norwegen, der junge Nils aus Belgien... Sie alle werden zu Begleitern und Freunden gleichermaßen. Alle mit dem selben Ziel: die prachtvolle Nidaros-Kathedrale in Trondheim. Untertags lässt jeder den anderen seinen eigenen Rhythmus, sein eigenes Tempo beim Gehen finden. Ein respektvolles Miteinander, das sich auch im Umgang mit der Natur zeigt. Freude überwiegt nach überwundener 30 km Wegstrecke am dritten Tag, zwischen Segard Hoel, einem traditionellen Bauernhaus, und dem wunderbar-charmanten Gumdal Hof. Durchschnittlich 8 Stunden Gehzeit sind wir täglich unterwegs. Der nächste Tag zum Gemeindehaus Skaun verspricht zwar „nur“ rund 20 km, doch es sollten die beschwerlichsten Wanderkilometer werden. Wir müssen ein Hochmoor überwinden. Und nicht nur von unten kommt das Wasser, auch von oben regnet es Wasser - und das in Strömen. Aus Wegen werden Sturzbäche. Ein Härtetest: für unsere Nerven, für unsere Kräfte - und vor allem für unsere Schuhe. Rund drei Stunden durch knöchelhohes Wasser, Matsch und rutschiges Terrain. Wir sind die einzigen mit trockenen Füßen? „Wie ist das möglich?“, fragt Sportwissenschaftler Peppi inmitten des Hochmoores. Ohne Schleichwerbung machen zu wollen, kommen wir direkt auf unsere „Hanwag“-Schuhe zu sprechen. Unglaublich, aber diese Schuhe halten unsere Füße trotz triefend nassem Untergrund und Regens tatsächlich den ganzen Tag trocken. Am Abend laufen dann im „Skaun Menighetshus“ die Schuhtrockner auf Hochbetrieb... Wieso sind die Menschen hier so freundlich - und so glücklich? Immerhin ist Norwegen laut aktuellen „World Happiness Report“ der Vereinten Nationen (UN) das glücklichste Land der Welt. Für uns hat sich das norwegische Wesen in einer kleinen, aber dafür umso ausdrucksstarken Begebenheit eröffnet. Als wir auf einer Bank einer Bushaltestelle Rast machen und gerade unsere Jausenbrote essen, tritt uns ein Gärtner entgegen. Der freundliche Herr in Arbeitskleidung und mit Ohrenschutz sagt, dass es jetzt etwas lauter werden wird, weil er rund um die Bank den Rasen mähen muss. Bevor er beginnt, fragt er uns, wer wir sind und was wir hier machen. Wir erzählen, dass wir Wanderer sind und noch ein paar Tage bis nach Trondheim gehen werden. Daraufhin blickt er uns an, lächelt und sagt: Wir sollen hier in Ruhe unser Brot essen, er kommt morgen wieder, um den Rasen zu mähen... Nach etwa 100 gewanderten Kilometern versteht man, warum der Mensch Fahrzeuge und Technologie entwickelt hat. Auf den Straßen sehen wir so viele Elektroautos, wie noch nie: BWM i3’s und Tesla’s, auch in den kleinsten Dörfern. Nirgendwo gibt es europaweit mehr E-Mobilität als in Norwegen. Digitale Vollautomatisierung dominiert die norwegische Landwirtschaft. Funktionalität, Technologie und bodenständige Naturnähe - der typisch skandinavische Lebensstil? Die rot gestrichenen Holzhäuser, oft mit Gras und Sträuchern am Dach bewachsen, strahlen nach außen hin Ursprünglichkeit und Behaglichkeit aus. Und überall tiefgrüne Wiesen und Wälder, die sich bis zum Meer ausbreiten. Wir fühlen es auch schon: das Meer, der Fjord ist nicht mehr weit. Die Bucht von Buvikbukta eröffnet sich einem, gewährt uns einen herrlichen Blick über den weitläufigen Fjord. Noch bevor wir das Meer erreichen, löst der Anblick auf ein Kaffeehaus wahre Glücksgefühle in uns aus. Wir nehmen einige hunderte Meter Umweg in Kauf, um uns an einer Tasse Kaffee und Kuchen zu erfreuen. Wir lachen wie kleine Kinder. Noch nie im Leben hat der Kaffee besser geschmeckt. Man wird bescheiden. Freut sich über eine warme, trockene Unterkunft, eine heiße Dusche, ein weiches Bett... Bevor wir die letzte Etappe nach Trondheim beschreiten, werden wir von John Wanvik am späten Nachmittag mit dem Boot über die Meeresenge des Fjords zu seinem prächtigen, historischen Hof Sundet Gård gebracht. Um zehn Uhr Abends dürfen wir noch einmal einen Sonnenaufgang am Fjord erleben: eine unglaubliche Atmosphäre der Stille, des Lichts und der Harmonie eröffnet sich. Es ist, als würde sich die Natur noch einmal von ihrer schönsten Seite zeigen wollen. Die letzte Teilstrecke bis zum Ziel nach Trondheim nehmen wir mit Freude, ja fast mit Begeisterung in Angriff. Trotz über 120 km Fußstrecke in den Beinen und schweren Rucksack am Rücken, verspüren wir keine Müdigkeit. Im Gegenteil. Man fühlt sich stark und hat gelernt sich mit den Naturelementen, mit Wind und Wetter zu arrangieren. Dort ein kleiner Regenguss, da eine kühle, steife Brise, die die zweite und dritte Bekleidungsschicht notwendig macht - alles kein Problem, wir sind gewappnet. Das mag eine weitere Erkenntnis sein, die man bei dieser Wanderung gewinnt: Langes, konstantes Gehen in der Natur scheint die innere Widerstandsfähigkeit zu stärken. Nicht gleich aufgeben, wenn der Weg etwas steiler wird oder die Blase am Fuß schmerzt. Eine Metapher für das Alltagsleben? Die Sonne lässt Trondheim im schönsten Licht erscheinen. Die Stadt breitet sich vor uns aus, im Hintergrund umrahmt vom tiefblauen Meerwasser des Fjords. Auch die prachtvolle Nidaros-Kathedrale, das größte, mittelalterliche Bauwerk Nordeuropas, erstrahlt heute in hellem Glanz. „Null Kilometer“ zeigt der Kilometerstein vor dem „Nidarosdomen“ an. Es ist geschafft. Wir haben es geschafft. Als wir die erste Ampel nach sechs Tagen in Trondheim sehen, ist das wie eine Brücke zurück in die Zivilisation. Die Stadt, die Menschen, die Cafés und das urbane Leben haben uns wieder. Was bleibt ist eine tiefe Zufriedenheit und die große Freude darüber, was der eigene Körper zu leisten vermag. Die wahrscheinlich wichtigste Erkenntnis der Sechstages-Wanderung: es braucht so wenig, um zufrieden zu sein. Alles, was du „wirklich“ brauchst, passt in einen Rucksack. Das erste Frühstück am Tag nach der Tour, im idyllisch gelegenen Pilgerzentrum Nidaros, schmeckt so gut und intensiv, wie schon lange nicht mehr. Wir tragen alle ein Lachen im Gesicht, trotz Regenwetter. Dass das Frühstück norwegisch „Frokost“ heißt, ist für uns eigentlich nur eine logische Folge... Der Olavsweg VON BERKAK NACH TRONDHEIM Als „Einstieg“ zur Wanderung des insgesamt 643 km langen Olavswegs, eignet sich der Teilabschnitt zwischen Berkåk und Trondheim. Tipp: nach Trondheim fliegen (via Kopenhagen oder Amsterdam). Dann mit dem Zug nach Berkåk – und dort losgehen...
Norwegen-Packliste AUSRÜSTUNG & TIPPS - WANDERRUCKSACK idealerweise zwischen 25 – 38 Liter - FESTE, KNÖCHELHOHE WANDERSCHUHE (Tipp: Hanwag Tatra GTX) - ATMUNGSAKTIVE, WASSERABWEISENDE OUTDOOR-JACKE (Tipp: Patagonia M10-Jacke) - 3 FUNKTIONS-SHIRTS - FLEECE-WESTE - LEICHTER FUNKTIONS-PULLOVER - 3 x UNTERWÄSCHE - 2 PAAR SOCKEN - ATMUNGSAKTIVE, WASSERABWEISENDE TREKKING-HOSE - KURZE HOSE - REGENHOSE (!) - MÜTZE - HANDSCHUHE (auch im Sommer!) - ZAHNBÜRSTE & ZAHNPASTA - SONNENCREME - REISEWASCHMITTEL - MICROFASER-HANDTUCH - HEILCREME/PFLASTER (nach der Wanderung) - SONNENBRILLE - SCHLAFBRILLE (für die hellen Sommernächte) - LEICHTER SCHLAFSACK - STIRNLAMPE (zum Lesen am Abend) - FALTBARE TRINKFLASCHE (zwecks Leichtigkeit & Flexibilität) - WANDERSTÖCKE - FLIP FLOPS (super-angenehm am Abend) - CAMPING-TOPF für Tee, Kaffee, Baked Beans... (Tipp: Primus LiTech-Coffee/Tea-Press Kit) - CAMPINGBESTECK - PORRIDGE, GETROCKNETE FRÜCHTE (Studentenfutter), Müsliriegel, Traubenzucker, Tee, Kaffee - WANDERFÜHRER Buch-Tipp: „Norwegen: Olavsweg“ Von: Hanna Engler 256 Seiten, 98 farbige Abbildungen, 77 Karten und Höhenprofile, Übersichtskarte in der Umschlagklappe Erschienen bei: Conrad Stein Verlag Web-Tipp: www.stolavways.com Vielen Dank an: Ulrike Sommer, Trine Neumann-Larsen, Guro Berge Vistad für die tolle Zusammenarbeit! Fotos: Daniela Rottensteiner, Helmut Wolf Text: Helmut Wolf
2 Comments
HaFa
11/8/2017 11:59:48
Wunderbare Beschreibung, die Lust macht auf Wandern. Nix wie hin!
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Helmut Wolf
11/9/2017 15:28:54
Danke für das schöne Feedback!
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