Nachhaltig Urlauben statt Fun Park am Gletscher. Wertschätzung statt höher, schneller, weiter. Liliana Dagostin vom Österreichischen Alpenverein über das erfolgreiche Konzept der „Bergsteigerdörfer“. Ein Interview! Weiter, schneller, höher? So lässt sich die Entwicklung in manchen Alpenregionen kurz zusammenfassen. Wer im Sommer Gletscherskigebiete besucht, dem wird oftmals vor Augen geführt, wohin stetige Ausweitung und Kommerzialisierung unberührter Naturlandschaften führen kann: Riesige Krater und Furchen überziehen Berghänge, verwaiste Liftpfeiler und -gebäude inmitten von Almen, Restaurant-Paläste am Gipfel mit Sicht aufs „geile Panorama“... Ein fast unwirkliches Bild, dass die zerstörerische Kraft des neoliberalen Turbokapitalismus deutlich macht - mit weitreichenden ökologischen Folgen für die „Lebensressource Alpen“ ... Identität und Lebensglück. Kann ein auf Wertschätzung und ressourcenschonendes Wirtschaften basierendes Tourismusmodell funktionieren? Im Alpenraum - und auch in anderen Regionen? Das Konzept der „Bergsteigerdörfer“ beweist dies jedenfalls. Immerhin schon seit 10 Jahren. Die nachhaltige Philosophie bei Tourismus und Raumplanung „funktioniert“ nicht nur ökonomisch, sondern sie festigt auch Identität und Lebensglück der lokalen Bevölkerung. 20 Mitglieder zählt die „Bergsteigerdörferfamilie“ mittlerweile in Österreich. Hinzu gekommen sind Dörfer in Deutschland, Slowenien und Italien. Für alle hat sich der Weg des „Weniger ist mehr“ positiv auf Kreativität, Eigenentwicklung und Wertschöpfung ausgewirkt. Liliana Dagostin, Leiterin der Abteilung Raumplanung und Naturschutz beim Österreichischen Alpenverein (ÖAV), über den Respekt natürlicher Grenzen und warum sich Erfolg nicht nur in Zahlen messen lässt... Liebe Frau Dagostin (Foto links), Journalist Matthias Schickhofer umschreibt das Aussehen der Gletscherskigebiete in den Alpen im Sommer als „apokalyptisch“. Bis zu den entlegensten Hütten werden Straßen und Lifte gebaut. Geraten die Alpen zum „Fun-Park“? Nicht nur im Sommer sind Gletscherschigebiete apokalyptisch, auch im Winter. Zumindest immer dann, wenn die Gletscher hochalpine Freilicht-bühne für ohrenbetäubend schrille Events werden, wie „Hannibal“, dessen Alpenüberquerung geschichtsirrig am Ötztaler Rettenbachferner nachgestellt wird. Events, die die Wintersaison in Großraumschigebieten wie Ischgl abschließen, stehen dem kollektiven Rausch wenig nach. Was dort abgeht, hat Lois Hechenblaikner (s. Foto rechts oben) mehrfach portraitiert. Eine Ausstellung dazu, die 2013 im Alpinmuseum in Bern zu sehen war und hierzulande nie, nannte sich „Intensivstationen“... Jedes Jahr werden mit freudiger Zufriedenheit Rekorde im Tourismus gemeldet. 144 Millionen Nächtigungen entfallen alleine auf Tirol und Salzburg. Wie schafft man den Spagat zwischen Naturschutz und wirtschaftlichen Denken - sprich Fremdenverkehr? Nicht mit Rekorden - im gewohnten olympischen Geiste des „höher, schneller, weiter“. Zumindest nicht unendlich. Außerdem erscheint mir eine Unterscheidung wesentlich, da der Tourismus durchaus differenziert betrachtet werden sollte. Aus meiner Sicht nur schwer zu schaffen ist der Spagat zwischen dem Naturschutz und einem Wirtschaftswachstum, das durch anlagenbezogenen „Intensivtourismus“ generiert werden soll. Wenn zum Beispiel für die Realisierung einer prominenten Skigebietsverbindung im Tiroler Oberland ein hochalpiner, einzigartiger Bach komplett zerstört werden muss, dann findet der behördliche Naturschutz - mit entsprechender politischer Rückendeckung - wohl eine Ausgleichs-möglichkeit an einem hart verbauten Ufer eines talnahen Gewässers. Für einige mag der Deal zufriedenstellend sein, für uns vom Alpenverein als Naturschutzorganisation ist das aber ein beliebiger Tauschhandel, den wir gerichtlich bekämpfen. Übrigens: ist Spagat im Beigeschmack etwas fahl... Besser gefällt mir das Wort „Einklang“ und die Bilder, die es zu malen versteht. Das ist es, wonach wir streben. Touristische Wertschöpfung, die aus der Wertschätzung des Menschen für das Naturbelassene entsteht. Das Bedürfnis vieler Menschen nach unberührter Natur steigt. Gerade in unserer bewegten und digitalisierten Welt. Wie sollte die zukünftige, touristische Infrastruktur gestaltet sein, damit diese Sehnsucht nicht zur „tödlichen Umarmung“ wird? Das erste Mal, als ich von den Möglichkeiten der Ingenieurbiologie hörte, war ich begeistert. Schnell stellte sich aber heraus, dass der Auftrag des Fachmanns darin bestand, in einem Hochmoor Platz für einen Speicherteich zu schaffen. Heute geht man bei jeder Skigebietserweiterung davon aus, es müsse auch für die notwendige Schneedecke vorgesorgt werden. Die Vorsorge wird fast ausnahmslos mit Kunstschnee bewerkstelligt. Diese Entwicklung ist meines Erachtens nicht zukunftsfähig. Touristische Infrastruktur, die zur Gänze auf den Verbrauch von nicht - oder nur erschwert - erneuerbaren Ressourcen, wie alpine Landschaften oder Fließgewässer, basiert, nimmt die Natur in den Würgegriff und löscht die Sehnsucht aus. Abseits von wachstumsgetriebener Industrialisierung und Vergnügungsparks in alpinen Naturlandschaften, zeigt das Konzept der „Bergsteigerdörfer“, dass es auch einen nachhaltigen Weg des Tourismus gibt. Was ist das Besondere an dieser Philosophie? Die Bergsteigerdörfer sind Ortschaften in den Alpen mit langer alpinistischer Tradition. Deshalb haben die Berge und das Bergsteigen im kulturellen Selbstverständnis der Einheimischen und Gäste einen hohen Wert. Hier ist das Bewusstsein über den notwendigen Einklang zwischen Natur und Mensch noch lebendig und man respektiert natürliche Grenzen. Weniger, dafür besser, das ist die Devise. Die Bergsteigerdörfer sind aber zu allererst ein Projekt zur Regionalentwicklung im Sinne der Alpenkonvention, die die nachhaltige Entwicklung der Alpen zum Ziel hat. „Rechnet“ sich das Projekt Bergsteigerdörfer. Sowohl für den Alpenverein als Betreiber, als auch für Gemeinden, Tourismusbetriebe und ländliche Entwicklung? Der Alpenverein ist nicht Betreiber der Bergsteigerdörfer - und auch keine Buchungs-plattform für die Bergsteigerdörfer oder deren Partnerbetriebe. Der Alpenverein hat sie lediglich auf einer Plattform vereint und stellt den „Kanal“ dar, über den das Angebot der Bergsteigerdörfer einem Zielpublikum vermittelt wird. Unser „Kapital“ ist die Anzahl unserer Mitglieder (ÖAV und DAV haben 1,7 Mio Mitglieder, die fünf Alpenvereine gemeinsam 2,2 Mio Mitglieder, Anm.), die alle eines vereint: Sie sind gerne draußen. Als Initiatoren können und wollen wir den Erfolg der Initiative auch nicht nur in Zahlen messen. Übernachtungszahlen stehen zwar zu Verfügung, sind aber nur bedingt brauchbar, weil sie nichts über die Wertschöpfung aussagen. Wir befragen die Partnerbetriebe auch nicht zu ihren Einnahmen. Dass sich die Marke positiv auf die Dörfer und Betriebe auswirkt, steht allerdings außer Frage. Beinahe alle Gemeinden sehen sich inzwischen als Teil der „Bergsteigerdörferfamilie“. In Österreich gibt es derzeit 20 Bergsteigerdörfer. Auch Ortschaften in Deutschland, Slowenien und Italien haben sich der Initiative angeschlossen. Was sind die Hauptgründe für den Beitritt und: was muss ein Bergsteigerdorf für Kriterien erfüllen?
Die Bergsteigerdörfer, die der Alpenverein im Auge hatte, als er das Projekt auf den Weg brachte, unterscheiden sich von anderen touristischen Angeboten, wie es zum Beispiel die Wanderdörfer sind, zuallererst wegen ihrer Alpinkompetenz. Das heißt: neben dem Angebot an alpiner Infrastruktur - guten Weganlagen und hochgelegener Schutzhütten - muss auch der alpinistische Anspruch an das Gebiet stimmen. Die sogenannte „Reliefenergie“ muss sich vom Talort zur höchsten Erhebung so ausmachen, dass ihre Bewältigung etwas Kondition abverlangt. Ein weiteres Kriterium, auf das wir besonderen Wert legen, ist die landschaftliche Qualität in den Bergsteigerdörfern. Neben der Achtsamkeit mit der Naturlandschaft und die Umsicht mit der bäuerlichen Kulturlandschaft ist das Fehlen von dominanten „Landschaftsverwundungen“ Voraussetzung für das Gütezeichen. Großräumige technische Anlagen stehen dem entgegen. Ein stimmiges Ortsbild ohne raumplanerische „Ausreißer“ ist ebenso wichtig, wie die dorftypische Grundausstattung - vom Nahversorger über das Wirtshaus und die Beherbergung. Was ist das mittelfristige Ziel der Initiative Bergsteigerdörfer? Mittelfristig muss es gelingen, die Eigeninitiative in den Bergsteigerdörfern zu befeuern. Wie bereits erwähnt sind Bergsteigerdörfer vor allem dann erfolgreich, wenn sie aus eigener Kraft initiativ werden. Es ist so ähnlich wie das Bergsteigen selber: Wer möchte schon einen Gipfelsieg aus eigener Kraft vergleichen mit dem, der per Seilbahn erreicht wurde... Danke für das interessante Gespräch! Web-Tipps: www.bergsteigerdoerfer.at www.facebook.com/bergsteigerdoerfer Fotos: Bergsteigerdörfer - Grünau Almtal (Titel), Mark Zahel, Wolfgang Ehn, Thomas Wirnsperger, Hannes Schlosser, Monika Bischof; Lois Hechenblaikner Interview: Helmut Wolf
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