Nationalparks – die letzten gesunden Landschaften? Natur als „hohen Wert, den es neu zu entdecken und zu schützen gilt“. Dafür spricht sich Sarah Wendl, Generalsekretärin der Nationalparks Austria, im Interview aus. Teil 2 der Serie „#NaturSpüren“! Natur Spüren #2 Das Interview Liebe Sarah Wendl, die weltweite Pandemie zeigt uns, wie eng der Mensch mit der Natur verbunden ist. Trotz Smartphone und Digitalisierung. Wie beurteilen sie die aktuelle Entwicklung? Ich habe das Gefühl Natur wird jetzt aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachtet. Der hohe Wert intakter Natur war vielen gar nicht bewusst. Aber wenn man viel Zeit zu Hause ist, sich nur in den eigenen vier Wänden bewegt, wird spürbar, was einem fehlt: Es wächst die Sehnsucht nach dem draußen sein, nach dem Anblick von Bäumen, Wiesen und Wäldern... Natur ist enorm wichtig für uns Menschen. Diesen Erholungsraum nutzen zu können, ist ein Grundbedürfnis. Wichtig ist aber ebenso die Erkenntnis, dass Natur nicht nur Ressource für Lebensmittel und Tourismus ist, sondern zentraler Bestandteil unseres Lebens und Überlebens... Wie würden sie für sich persönlich die Faszination des Naturerlebnisses umschreiben? Im Wald, in den Bergen, an einem See, die Vielfalt der Pflanzen und Tiere... Ohne viel Nachzudenken entsteht da in mir eine Faszination. Es ist wie ein Eintauchen in eine andere Welt... Du spürst die Kraft und Magie der Elemente. Die wahre Qualität im naturbelassenen Gelände besteht darin, wenig Infrastruktur vorzufinden oder keine Anrufe erhalten zu können, weil es kein Netz gibt. Diese Ruhe macht einem auch innerlich ruhig und gelassen... Sie haben das Glück ihre Naturliebe auch mit dem Beruf verbinden zu können... Anfangs hatte ich die Befürchtung, dass ich durch den beruflichen Alltag diese Faszination verlieren könnte. Ich bin in den USA geboren und habe dort schon sehr früh Kontakt zu Wildnisgebieten und Nationalparks gehabt. Aber es ist ganz anders gekommen. Es ist einfach ein tolles Gefühl, wenn du vermitteln kannst, was Natur ist und was sie alles kann. Hat das Coronavirus ihre Arbeit in den Nationalparks verändert? Gute Frage. Es gibt sicher keine Branche, wo diese Pandemie spurlos vorüber geht. Es muss vieles neu gedacht werden. Auch bei uns werden Führungen, Ausstellungen und Projekte neu strukturiert. Aber: Grundsätzlich geht es in den Nationalparks darum, Natur Natur sein zu lassen. Unser Job ist es, überspitzt gesagt, nichts zu machen (lacht). Natürlich machen wir viel, aber in weiterer Folge geht es darum, dass der Mensch in diesen Gebieten so wenig wie möglich in die Natur eingreift. Wozu braucht es Nationalparks eigentlich? Es gibt viele Thesen dazu. Einige beschäftigen sich mit moralischen Aspekten. Aber ganz grundsätzlich würde ich antworten: Natur an sich ist schützenswert. Es geht um den Erhalt der Artenvielfalt, schließlich teilen wir uns die Erde mit vielen anderen Lebewesen. Und es sind Plätze der Begegnung zwischen Mensch und Natur. Es ist schon skurril: Durch die riesige Flächennutzung des Menschen, müssen natürliche Landschaften abgegrenzt, ja „abgesperrt werden“. Wir müssen eigene Gebiete definieren, damit sich Natur entfalten kann... Und zur grundsätzlichen Qualität der Nationalparks kann ich nur sagen: Hier lässt es sich in eine andere Welt eintauchen. Diese Landschaften besitzen die Fähigkeit einem zur erden und zur Ruhe kommen zu lassen. In diesen beeindruckenden Naturgebieten wird einem erst bewusst, was für ein kleines Rädchen der Mensch ist. Ein Aufenthalt dort, bringt einem wieder auf die Erde zurück... Nach dem Lockdown ist die Luftverschmutzung in China deutlich gesunken. Auch die Luftqualität in Teilen Europas hat sich rasch verbessert. Ist das auch in den Nationalparks spürbar? Derzeit sind die Auswirkungen besonders rund um globale Großstädte zu beobachten. In den Nationalparks selbst hat sich durch den Lockdown nicht viel verändert. Da spielen eher die langfristigen Auswirkungen des Klimawandels eine Rolle: Die große Trockenheit, die geringen Regenmengen, die Gletscherschmelze usw. Das ist aber unabhängig vom Coronavirus. Der Virus hat wenig Einfluss auf die Natur, eher auf die Menschen... Können die Nationalparks weiterhin besucht werden? Natürlich. Besucherveranstaltungen und Bildungsprogramme wurden zwar abgesagt, aber die (sechs) Nationalparks in Österreich kann man jederzeit besuchen. Wir setzen hier auf Eigenverantwortung und das Vertrauen in die Menschen. Also, dass keine waghalsigen Bergtouren unternommen werden, wo eventuell die Bergrettung erforderlich ist. Wandern und Spazieren gehen geht jedoch immer. Nationalparks werden nicht wirtschaftlich genutzt, sind aber trotzdem wirtschaftlich erfolgreich. Vielleicht ein nachhaltiges Vorbild für andere Wirtschaftsbereiche? Durchaus. Nationalparks schaffen eine ökonomische Leistung, auch wenn diese nur schwer zu beziffern ist. Nicht nur bei der Urlaubsplanung oder für alle jene, die auf der Suche nach dem „puren Naturerlebnis“ sind, bieten die Nationalparks hohen Mehrwert. Nationalparks leisten auch viel zur gesellschaftlichen Gesundheit, zur Biodiversität und sind Basis wichtiger Forschungsgebiete und Wissenschaftsprojekte. Viele Daten zu Gletscherschmelze, Klimawandel und Umweltveränderungen stammen aus Nationalparks. Wie würde sie Vision und Zukunft der Nationalparks umschreiben? Das bewahren, was wir haben. Das klingt einfach, ist aber eine schwierige Aufgabe. Im Wesentlichen geht es darum, die Natur zu schützen und trotzdem erleben zu können. Wie schwierig das ist, zeigt der Tourismus der vergangenen Jahre, der nicht immer problemlos funktioniert hat. Die Nationalparks zeigen: Hier können beide profitieren - Mensch und Natur. Muss man Tourismus neu denken? Nachhaltiger Tourismus muss nicht neu gedacht werden, den gibt es schon länger. Mich würde es freuen, wenn mehr geschätzt wird, was man zuhause hat. Gerade in Sachen Urlaub galt es in der Vergangenheit oft darum, in die Ferne zu reisen. Es gibt aber ganz vieles zu entdecken, was in der unmittelbaren Umgebung liegt... Was sollte sich ihrer Meinung nach verändern? Ich würde mir wünschen, dass die große Solidarität unter den Menschen, die die Pandemie mit sich gebracht, auch die Natur miteinbezieht. Wir sollten der Natur auf Augenhöhe begegnen. Dafür sollte mehr Bewusstsein in der Gesellschaft geschaffen werden. Was ist ihr Lebenskonzept? So zu leben, dass es eine bessere Welt wird. Jeder kann ein bisschen dazu beitragen, dass die Welt besser wird... Vielen Dank für das interessante Gespräch! Nationalparks Austria SCHUTZGEBIETE MIT WERTVOLLEN NATURRÄUMEN In Österreich gibt es sechs Nationalparks: Nationalpark Donau-Auen, Nationalpark Gesäuse, Nationalpark Hohe Tauern, Nationalpark Kalkalpen, Nationalpark Neusiedler See - Seewinkel und den Nationalpark Thayatal. Zwei Nationalparks erstrecken sich über mehrere Bundesländer. Der Nationalpark Hohe Tauern liegt in den Bundesländern Kärnten, Salzburg und Tirol. Die Donau-Auen sind in Wien und Niederösterreich unter Schutz gestellt. Die österreichischen Nationalparks haben eine Gesamtgröße von 238.035 ha. Das sind rund 3 % der Staatsfläche. Web-Tipp: www.nationalparksaustria.at Fotos: Popp-Hacker (Titelfoto), Kern, Kracher, Leitner, Seidl, Sieghartsleitner, Baumgartner, Kovacs, Katja Hasenöhrl, Andreas Hollinger, Vanessa Szopory, Sebastian Freiler, Erich Mayrhofer
Interview: Helmut Wolf
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