Zukunftsmodell oder unfinanzierbare Utopie? Finnland probt das Grundeinkommen. Für den Schweizer Daniel Häni und namhafte Ökonomen ist es der Lösungsansatz gegen die weltweit anwachsende Arbeitslosigkeit. Eine Analyse. Was würden Sie arbeiten, wenn für Ihr Einkommen gesorgt wäre? Was würden Sie tun, wenn Sie tun könnten, was Sie „wirklich“ wollen? Wofür stehen Sie morgens auf? Solche und ähnliche Fragen stellt sich der Schweizer Unternehmer Daniel Häni seit rund 10 Jahren. Er hat im heurigen Jahr die weltweit erste Volksabstimmung über das „bedingungslose Grundeinkommen“ abgehalten. Immerhin ein Viertel der Schweizer haben dem zugestimmt. Nun ist eine weltweite Debatte darüber entbrannt, mit der Schlüsselfrage: wie wollen wir in Zukunft leben und arbeiten? Die Arbeitswelt ist im Umbruch. Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass in den Industrieländern in den nächsten Jahren jeder vierte Arbeitsplatz wackelt. Bis Ende 2020 sollen rund 5,1 Millionen Arbeitsplätze durch Roboter – vor allem in den Bereichen Transport, Logistik, Landwirtschaft etc. - ersetzt werden, so die Experten des Weltwirtschaftsforums. Drastischere Prognosen, wie jene des Bankinstituts ING-DiBa, sehen sogar jeden zweiten Arbeitsplatz mittelfristig durch die beschleunigte Technologisierung gefährdet. Aber nicht nur Roboter und automatisierte Maschinen werden menschliche Tätigkeiten übernehmen, sondern auch Software-Programme und Algorithmen. Statt der Supermarkt-Kassiererin gibt es schon heute immer mehr „Self-Service“-Kassen, die Automatisierung im „fahrerlosen“ (U-)Bahn- und LKW-Verkehr wird früher oder später kommen, anstatt von Juristen prüfen immer häufiger Software-Programme hundertseitenlange Immobilienverträge, und sogar Krankheiten können Computer anhand von (Computertomografie-)Bildern erkennen - und erfordern weniger Ärzte. Woraus sich schließen lässt: es wird in Zukunft weniger – auch ausbildungsintensive - Jobs geben. Bisher geforderte Modelle, wie Teilzeitarbeit, greifen zu kurz. Mit der Folge, dass die Arbeitslosenzahl weiter ansteigt. Was also tun mit den vielen arbeitslosen Menschen? Sicher ist: Roboter und Computer verändern die Arbeitswelt - und unser soziales Zusammenleben. Ganze Berufsgruppen werden wegfallen, neue entstehen. Einfache, physische Routineaufgaben werden seltener, da sie von Maschinen übernommen werden. An Bedeutung gewinnen Berufe, die Kreativität, soziale Kompetenz und menschliche Zuwendung erfordern. Diese Jobs sind jedoch oftmals gering bezahlt - und zeitbegrenzt. Die große Herausforderung für unsere Gesellschaft wird zukünftig von zwei grundlegenden Aspekten bestimmt: 1. Wie können wir unter diesen Vorrausetzungen weiterleben und unsere Grundbedürfnisse (Wohnen, Nahrung, Mobilität, Konsum...) abdecken? Und 2.: Wie lässt sich unser (Sozial-)System erhalten und unsere Gesellschaft absichern? „Das bedingungslose Grundeinkommen ist die humanistische Antwort auf den technologischen Fortschritt,“ ist Daniel Häni überzeugt. Der 50jährige Schweizer ist kein verblendeter Idealist, sondern realistischer Unternehmer. Er führt mit dem „unternehmen mitte“ in Basel das größte Kaffeehaus der Schweiz und bezeichnet sich selbst als „Ermutiger“. Seit vielen Jahren engagiert er sich für das bedingungslose Grundeinkommen. Dies betrachtet er als „Grundrecht des Menschen“. Es würde Existenzängste nehmen und Freiheit bringen. Mit dieser Betrachtungsweise liegt Häni auf einer Linie mit immer mehr international renommierten Ökonomen und Unternehmern, wie dm-Gründer Götz Werner, Telekom-Chef Timotheus Höttges oder US-Wirtschaftswissenschaftler Joseph E. Stiglitz. Nicht finanzierbar oder demokratisches Grundrecht? Keine Frage: das bedingungslose Grundeinkommen polarisiert. Meinen die Einen, das garantierte Grundeinkommen wird eines Tages im Zuge Millionen Arbeitsloser kommen müssen, und uns zudem die „Freiheit zur Arbeit“ bringen, so sagen die Anderen, das Grundeinkommen bringt uns 50 % Mehrwertsteuer und die Wirtschaft zum kollabieren. Für Häni greift diese emotionale Schwarz-Weiß-Malerei jedoch zu kurz: „Das Grundeinkommen ist nicht mehr Geld und auch kein zusätzliches Einkommen“, so der Schweizer Unternehmer, „weil es ja nicht mehr Geld ist, sondern das Bestehende (Arbeitslosengeld, Mindestsicherung etc.) neu definiert, aber ohne Bedingungen.“ Nicht Geld werde umverteilt, sondern Macht, so Häni. „Arbeitslosigkeit“ gebe es dann nicht mehr. Gewinnen würde der Einzelne - durch mehr Selbstbestimmung. Über die Höhe des Grundeinkommens wird viel und emotional diskutiert. Daniel Häni lehnt die garantierte Einkommenshöhe an „einem menschenwürdigen Dasein“ sowie an der kulturellen Teilhabe am öffentlichen Leben. Häni legt es in der Schweiz bei etwa 2500 Franken pro Erwachsenem, und 625 Franken für jedes Kind an. Im Gegenzug sollen andere Sozialleistungen, wie Pensions-, Sozialhilfe- und Arbeitslosenzahlungen, wegfallen. In Finnland werden schon bald 2.000 Menschen, die bislang Sozialhilfe beziehen, ein Grundeinkommen in Höhe von 560 Euro erhalten. Zudem will das finnische Sozial- und Gesundheitsministerium herausfinden, ob auf diese Art das Sozialversicherungssystem langfristig reformiert werden kann. Auch in Kanada und in den Niederlanden wird über ähnliche Pilotprojekte diskutiert. Bannt sich ein Paradigmenwechsel an? Anleitung zum Faulsein? Nein, sagt Häni, das Grundeinkommen würde es nämlich möglich machen, „eine dem eigenen Lebenssinn entsprechende Tätigkeit wahrzunehmen.“ Eine Umfrage des Wissenschaftszentrums Berlin f. Sozialforschung (WZB), dem Sozialforschungsinstitut infas und der „Zeit“ hat ergeben, dass eine deutliche Mehrheit auch dann arbeiten würde, wenn sie das Geld nicht braucht. Nur jeder zehnte Befragte wiederspricht. Dies zeigt: Arbeit ist nicht nur Broterwerb sondern „Sinnerwerb“. Ein weiterer Anreiz weiter zu arbeiten: mehr zu verdienen als das (niedrige) Grundeinkommen. Durch Qualifikation und Motivation würden zudem Kräfte und Ehrgeiz erzeugt, die sich auf produktive Themen richten und nicht Faulheit provozieren. Ein Schlüssel liegt deshalb bei der Erziehung und (Selbst-)Bildung. Richtige Fragen, richtige Antworten. Fazit: auch wer nicht vom bedingungslosen Grundeinkommen überzeugt ist, wird bei der Diskussion über Pro und Kontra feststellen: erst das Nachdenken über diese neue Form der Ökonomie, lässt uns die „richtigen Fragen“ stellen. Und genau das, so scheint es, ist der erste Schritt bei der Lösungsfindung in Bezug Arbeitslosigkeit und Technologisierung. Eine definitive Antwort finden, oder gar einen Beschluss treffen, muss am Ende die Gesellschaft, sprich, jeder von uns selber... Buch-Tipp: „Was fehlt, wenn alles da ist?“ Von: Daniel Häni & Philip Kovce 192 Seiten Erschienen bei: Orell Füssli Verlag Web-Tipps:
www.grundeinkommen.ch www.unternimm-die-zukunft.de www.generation-grundeinkommen.ch Fotos: Wolfgang Schmid (Titel), Carlos Spottorno sowie diversen Kunstaktionen und Installationen der „Generation Grundeinkommen“ Text: Helmut Wolf
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