Erbe oder nicht? Ist das die (Zukunfts-)Frage. Für die Demokratie, den sozialen Zusammenhalt - für jeden Einzelnen? Autorin Julia Friedrichs beschäftigt sich mit Erbschaften. Ökonom Stefan Humer mit Verteilung von Einkommen und Vermögen. Analyse! „Wir werden ihre Häuser erben, aber keine neuen bauen.“ Rainald Grebe, Zitat aus dem Buch „Wir Erben“ Eltern, Schenkung, vorgezogenes Erbe... Als die deutsche Journalistin Julia Friedrichs vor einiger Zeit ihre Recherche zum Thema Erbschaften und Vermögenssteuern startete, machte sie eine interessante Feststellung: ein Teil ihrer Freunde - alle im Alter zwischen 30 und 40 Jahre wie sie selbst - kauften plötzlich Wohnungen oder Häuser. Für 400.000, für 600.000 Euro... Und Friedrichs fragte sich: Wie machen die das? Als sie ihre Freunde nach der Quelle ihres plötzlichen Wohlstands fragte, wurden diese einsilbig: nur ganz leise hörte sie etwas von „Eltern“, „Schenkung“ oder „vorgezogenem Erbe“... „Wie will ich leben“? Der Journalistin Julia Friedrichs wurde plötzlich klar: die Zukunftsfrage vieler (junger) Bürger „Wie will ich leben?“ wird vor allem durch einen Faktor entschieden: Bist du Erbe oder nicht? Dies zeige sich, so Friedrichs, gerade im Bezug auf Immobilien: Klagen die einen über steigende Mietkosten, so beziehen die anderen „plötzlich“ Wohnungen/Häuser, die ihnen bisher unbezahlbar erschienen. Spiegelt sich bei Immobilien das zunehmende Auseinanderklaffen zwischen vermögenden Erben und Nichterben? Und: kann es auch in unseren Breiten zu einer Entwicklung kommen wie in Japan, wo fast die Hälfte der jungen Menschen zwischen 20 und 34 noch zu Hause lebt? Was passiert mit einer Gesellschaft und einem Staat, wo die einen - in Deutschland etwa rund 8 Prozent - viel Geld vererbt bekommen (rund 40 des deutschen Vermögens) und dafür kaum Steuern zahlen? Und die anderen - 92 % - die Botschaft vermittelt bekommen: egal, wie viel du auch arbeitest und dich anstrengst, du wirst nie mit der „Generation Erbschaft“ gleichziehen können. Ändert dieser Umstand nicht nur das Leben einzelner Menschen, fragt sich „Wir Erben“-Autorin Julia Friedrichs (Foto links), sondern die gesamte ökonomische und soziale Struktur eines Landes? Wird die Masse der Nichterben gar revoltieren, wenn sie begriffen hat, worauf der Reichtum der anderen gründet? Seit Vermögens- und Erbschaftssteuern nicht mehr erhoben werden, hat auch der Staat keine verlässlichen Daten mehr zum Reichtum seiner Bürger. Niemand kann mit Sicherheit sagen, wie viel Vermögen pro Jahr vererbt wird. Laut Daten der „Bank Austria“ werden in Österreich jährlich durchschnittlich zehn Milliarden Euro alleine an Immobilienvermögen weitervererbt. Hinzu kommen Erbschaften reinen Geldvermögens von rund 17 Milliarden. In Deutschland werden laut Berechnungen des „Instituts für Altersvorsorge“ und einer Metastudie der „Paris School of Economics“ jährlich etwa 250 Milliarden Euro an vererbten Vermögen transferiert. Ererbtes Vermögen sei „besonderes Geld“, sagen Soziologen: emotional aufgeladen, ein „familiärer Schatz“, eine Privatangelegenheit... „Für den Erben ist die Erbschaft wie ein Einkommen für das aktuell keine Steuern anfallen“, meint der österreichische Wirtschaftsforscher Stefan Humer. Seit über 10 Jahren beschäftigt sich Humer am Forschungsinstitut „Economics of Inequality“ der Wirtschaftsuniversität Wien mit Fragen zu Verteilung und Vermögen. Humer geht es nicht darum neue Steuern zu erfinden oder eine Neiddebatte vom Zaun zu brechen, sondern um die kühle Analyse: wer sind die Gewinner, wer die Verlierer des derzeitigen Steuersystems. „Gute Steuern“ = Wachstum und Arbeitsplätze. „Österreich hat die höchsten Steuern auf den Faktor Arbeit im OECD-Raum (35 Staaten gehören zur „Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung“, Anm.). Dagegen werden nur 0,6 % der Staatseinnahmen aus Kapital- und Vermögens-bezogenen Steuern generiert“, analysiert Ökonom Stefan Humer (Foto links). Würde man diese vermögensbezogenen Steuern auf den OECD-Schnitt von 1,8 % gleichziehen, wäre ein Beitrag von 4 Milliarde Euro zu lukrieren - und damit der Faktor Arbeit steuerlich deutlich entlastet. Humers Schlussfolgerung: Um auch in Zukunft Wachstum und Arbeitsplätze zu schaffen und den sozialen Zusammenhalt zu sichern, wäre es wirtschaftlich hilfreicher bestehende, „gute Steuern“ zu erhöhen, die einen wachstumsfördernden Effekt erreichen. „Österreich ist Spitzenreiter bei der Ungleichverteilung, gleich hinter den USA“, sagt Wirtschaftsforscher Stefan Humer. Die Vermögen im Land sind - im Gegensatz zum Arbeitseinkommen - sehr ungleich verteilt. Laut Daten der Nationalbank, halten die reichsten 1 Prozent der Bürger in der Alpenrepublik 36 Prozent des Vermögens. Ökonom Humer, der seit Jahren über die „Ökonomie der Ungleichheit“ forscht, sieht vor allem in der hohen steuerlichen Belastung von Arbeit - im Gegensatz zu Kapital und Vermögen - einen der Hauptgründe dafür, dass der Großteil der Österreicher keine nachhaltigen Ersparnisse aufbauen kann. Hinzu kommen einkommensmindernde Aspekte, wie das vorherrschende Mietersystem und öffentliche Pensionssystem. Je tiefer die Kluft zwischen Arm und Reich, desto unzufriedener sind die Bürger mit der Demokratie. Dies haben Forscher des deutschen Max-Planck-Instituts herausgefunden. Und: desto weniger Vertrauen die Menschen den politischen Institutionen entgegenbringen, desto niedriger ist die Wahlbeteiligung und sinke der soziale Zusammenhalt. Der französische Historiker Pierre Rosanvallon schreibt, dass die Menschen in Zeiten großer Ungleichheit immer nach ähnlichen Mustern reagieren: Stets nehme die Wut auf Fremde (Flüchtlinge) zu und steigt die Sehnsucht nach einfachen Antworten. Der Kern der Erbschafts-debatte sollte deshalb nicht von Neid oder vom Gedanken, jemandem etwas wegnehmen zu wollen, getrieben sein, sondern von der Frage: wie soll die „ökonomische Architektur“ der Demokratie zukünftig aussehen? Glück und Unglück einer Generation... Auch wenn es gilt noch viele Ideen, Daten und Forschungsgrundlagen zu Verteilung von Einkommen und Vermögen einzubringen, so lässt sich schon heute ein zentraler Aspekt bei der Ausrichtung eines neuen (Steuer-)Modells ausmachen: in einem modernen Staat sollten nicht Erbschaften über Glück und Unglück einer Generation entscheiden. Jeder Bürger sollte die Perspektive entwickeln können: ich habe die Chance aus meinem Leben etwas zu machen. Und wenn ich mich anstrenge, wird das auch belohnt... Buch-Tipp: „Wir Erben - Was Geld mit Menschen macht“ Umfang: 336 Seiten Autorin: Julia Friedrichs Erschienen bei: Berlin Verlag / Piper Fotos: Arnaud Pykva / Tatler.com (Titel), James McDonald / Tatler.com Quellen: Dialog „Forum Steuergerechtigkeit“, Der Standard, Zeit-Magazin Text: Helmut Wolf
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