Wer versteht das Finanzsystem? Und: droht das Kapital den sozialen Frieden der Welt zu zerstören? Was tun? Eine Analyse und ein Ausstellungstipp: die Kunsthalle Baden-Baden widmet sich diesem Thema in Form einer „Bildgeschichte der Ökonomie“. Die globale Geldelite wird immer reicher. Bereits in einem Jahr hat das wohlhabendste „eine Prozent“ der Weltbevölkerung mehr Vermögen als die übrigen 99. Dies hat die internationalen Hilfsorganisation „Oxfam“ bereits vor einiger Zeit analysiert. Eine Dimension, die obszön erscheint. Und auch wenn die zugrunde liegenden Daten unscharf sind, so zeigt sich eines ganz deutlich: das Gewicht des Kapitals nimmt überall auf der Erde zu, konzentriert sich aber nur in den Händen von wenigen. Die Gründe für soviel Reichtum bei einer Handvoll Menschen, erklären Experten, liegen nicht nur daran, dass die Geldelite höhere Renditen mit ihrem Kapital erzielt, sondern mehr noch, dass die Vermögen an eine sinkende Anzahl von Kindern vererbt werden. Der renommierte französische Ökonom Thomas Piktet (Foto links), der mit seinem Bestseller „Kapital im 21. Jahrhundert“ für internationales Aufsehen gesorgt hat, meint: wenn wir den Kapitalismus nicht verändern, dann wird die Ungleichheit in diesem Jahrhundert weiter zunehmen und der soziale Frieden zerstört... „Der Graben zwischen Finanzwelt und restlicher Bevölkerung wird immer größer. Dieser Graben muss dringend überbrückt werden, wenn wir die Angehörigen der Finanzindustrie nicht weiterhin als eine Art Priesterschaft sehen wollen, die ihre ganz persönlichen Mysterien pflegt, die wir Übrigen ebenso fürchten wie verurteilen.“ Pointiert formuliert die wachsende Besorgnis und das Unverständnis der Menschen auf der Welt auch der britische Autor John Lanchester. Mit Büchern wie „Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt“ oder „Die Sprache des Geldes und warum wir sie nicht verstehen (sollen)“, möchte Lanchester vor allem eines: das Geldsystem erklären - und entmystifizieren. „Warum alle zahlen „dürfen“, für eine kleine Minderheit“. In seinen aktuellen Büchern skizziert der britische Journalist John Manchester (Foto links) die Hintergründe der Finanzkrise im Jahr 2008. Vor allem aber weist Lanchester auf eine besondere Skurrilität hin: die Gesellschaft „darf“ zahlen, hat aber noch nie verstanden, wofür sie bezahlt – und: warum? Und dies, obwohl nur eine verschwindend kleine Minderheit für die weltweite Finanzkrise direkt verantwortlich war. Eine Krise, die bis heute anhält, munter befeuert wird und deren Rechnung die Bevölkerung abzahlt. Was tun gegen die extrem ungleiche Verteilung des Kapitals? Geht man vom Grundgedanken des Wirtschaftswissenschaftlers Thomas Piketty aus, so wird der Kapitalismus keine befriedigende Antwort auf diese bedrohliche Entwicklung finden. Piketty plädiert deshalb dafür, dass die Staaten gemeinsam handeln: um Steuerflucht auszuschließen, sollte sich die globale Welt auf eine gemeinsame Vermögenssteuer einigen. Konkret: mit der Höhe der Vermögen soll der Steuersatz auf bis zu zehn Prozent steigen. Die Einkommenssteuer, so Piketty, könne bei Millionären einen Satz von 80 Prozent erreichen. Denn: einer drastischen Bedrohung müsse man mit drastischen Mitteln begegnen. Superkomplex, Superriskant, supermächtig... Auch der britische Finanzjournalist John Lanchester tönt ins gleiche Horn: „Wenn unsere Gesetze nicht dahingehend erweitert werden, dass die supermächtigen, superkomplexen und potentiell superriskanten Anlageinstrumente kontrolliert werden können, dann werden diese eines Tages eine finanzielle Katastrophe von globalen Ausmaßen verursachen.“ Einen „kleinen Herzinfarkt“ hatte der Kapitalismus ja schon mit dem Finanzcrash 2008, der im Übrigen von niemanden vorhergesehen wurde. Die Ausstellung: „Gutes böses Geld“. Passend zur aktuellen Diskussion über die Finanzwelt und Geldeliten, zeigt die Ausstellung „Gutes böses Geld“ in der Kunsthalle Baden-Baden eine 750 Jahre überblickende Bildgeschichte der Ökonomie (noch bis 19. Juni 2016). Gezeigt wird, wie Künstler Geld und den Umgang damit im Laufe der Jahrhunderte ins Bild gesetzt haben: von einer frühen italienischen Darstellung aus Siena von 1286, über Fotografien aus dem New York der 1890er Jahre bis zu zeitgenössischen Kunstwerken, die kurz vor oder während der jüngsten Finanzkrise entstanden sind. Links: das Foto von Anahita Razmi „I´ve got it all (too)" (2008). Genug Geld, genug Besitz... „Wir sollten anfangen darüber nachzudenken, an welchen Punkt wir genug Geld, genug Besitztümer haben“, gibt der britische Journalist John Lanchester zu bedenken. Wie viele Dinge braucht ein Mensch? In einer Welt, der die Ressourcen ausgehen, kann man die wichtigste ethische, politische und ökologische Idee mit einem einzigen, simplen Wort zusammenfassen: „Genug“. Ausstellungs-Tipp: „Gutes böses Geld - Eine Bildgeschichte der Ökonomie“ Wann: Noch bis 19. Juni 2016 Wo: Kunsthalle Baden-Baden www.kunsthalle-baden-baden.de Buch-Tipp: „Warum jeder jedem etwas schuldet und keiner jemals etwas zurückzahlt“ Von: John Lanchester 302 Seiten Erschienen bei: Klett-Cotta Titelfoto: Anahita Razmi „Iranian Beauty“, 2013, Foto: Anahita Razmi „I´ve got it all (too), 2008
Quelle: Die Zeit Text: Helmut Wolf
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