Abtreibung legalisiert. Die Homo-Ehe eingeführt -ohne politische Streitigkeiten? Das streng katholische Irlandgilt als Vorbild der „Mitmach-Demokratie“. Per Los ausgewählte Bürger diskutieren brisante Themen und geben „Empfehlungen“ an das Parlament ab. Mehr Mitsprache der Bürger - ein Zukunftsmodel? „Die Gesellschaft driftet auseinander. Die Idee der großen Gemeinschaft verliert an Kraft, die Menschen grenzen sich in immer kleinere Gruppen ab. Der Toleranzpegel geht massiv zurück. Egoismus und Angst prägen das gesellschaftliche Klima und verstärken den Unwillen, anderes Verhalten als das eigene oder andere als die eigenen Überzeugungen zuzulassen.“ Wer sich diese Aussagen aus der „Arena-Analyse 2018“, einer Studie über zukünftige, unmittelbar bevorstehende Veränderungen, vor Augen führt, wird vor allem eines feststellen: Eine aufgeheizte Grundstimmung ist der Nährboden für populistische Strömungen - und deren vermeintliche, einfache Antworten auf die vielschichtigen Herausforderungen unserer Zeit. Konsens in der Flüchtlingspolitik? Die EU ist weiter denn je von einer gemeinsamen Flüchtlings- und Zuwanderungspolitik entfernt. Und das seit Jahren. Jeder Versuch, das Thema anzupacken, endet damit, dass die einzelnen Staaten ihre nationalen Interessen in den Vordergrund stellen und sich gegenseitig die Schuld an der bisherigen, „falschen Migrationspolitik“ zuschieben. Das Ergebnis ist hinlänglich bekannt: In vielen Ländern der EU - und darüber hinaus - erstarken (rechts-)populistische Parteien, deren Schwerpunkt in erster Linie auf Ausgrenzung (der Flüchtlinge) und einer strengen „Law & Order“-Politik liegt. Statt nachhaltiger Lösungen oder Konsensbereitschaft, dienen vielmehr nationalistische Ideologien und die Spaltung unserer Gesellschaft zur Wählerstimmen-Maximierung. Was tun gegen populistische Strömungen? In Irland scheint man ein Mittel dagegen gefunden zu haben: die Bürgerbeteiligung! In einer besonderen Form der „Mitmach-Demokratie“ werden die Bürger des Landes in politische Entscheidungsprozesse miteinge-bunden: Das irische Modell sieht vor, dass 99 per Los ausgewählte Teilnehmer jeweils ein Wochenende im Monat ein vorgegebenes Thema diskutieren, Experten anhören, Fragen stellen - und das über ein ganzes Jahr lang! Am Ende gibt diese Gruppe, die so bunt zusammengewürfelt ist wie die Gesellschaft, eine Empfehlung an das Parlament ab. Ein Model, dass in Irland schon einige politische Erfolge vorzuweisen hat... Liberales Abtreibungsrecht mit deutlicher Zustimmung. So konnten im katholisch geprägten Irland „heiße, politische Eisen“, wie das Recht auf Abtreibung, ohne Konflikte und mit deutlicher Zustimmung der Bevölkerung umgesetzt werden. Ein Erfolg nicht nur für viele junge Menschen zwischen 18- bis 24-Jährigen, die im Vorjahr mit fast 90 Prozent mit „Ja zum Recht auf Abtreibung“ abstimmten, sondern auch ein deutliches Signal gegen rechtspopulistische Bestrebungen, die massiv gegen das liberale Abtreibungsrecht gewettert haben. Auch ein weiterer Meilenstein moderner Gesellschaftsstrukturen wurde auf dem Inselstaat gelegt: So entschied Irland bereits 2015 - als weltweit erstes Land - per Referendum positiv über die Erlaubnis zur Schließung gleichgeschlechtlicher Ehen. Die Demokratie schützt man am besten, indem man sich aktiv an ihr beteiligt. So einfach könnte das Prinzip der Mitmach-Demokratie erklärt werden. Warum dies woanders nicht so einfach gelingt, wie in Irland, scheint am Prozedere, aber auch am politischen Willen zu liegen. Denn: die politischen Instrumente sind recht aufwendig - und sie verlangen den Teilnehmern einiges ab. Helfen könnte bei der demokratischen Teilhabe der Bürger hier vor allem eine Entwicklung: die Digitalisierung. Die technischen Mittel, die durch die Digitalisierung zur Verfügung stehen, machen es nämlich möglich, auch große Gruppen in Diskussionen zu involvieren.
Digitalisierung schafft mehr politische Mitsprache. Soziale Medien und Internet-Suchmaschinen können zwar durch ihre Algorithmen die Tendenz zur Abschottung in Kleingruppen forcieren. Vor allem in den „Community-Blasen“, wo man sich zumeist nur unter Seinesgleichen bewegt und nur selten andere Meinungen ihren Niederschlag finden. Dennoch liegt in der Digitalisierung die große Chance für politische Mitsprache und zivilgesellschaftliches Engagement. Vor allem wenn es darum geht, die Spirale der Ratlosigkeit, die sich immer weiter in Richtung Rechtspopulismus und autoritären Kleinstaaten-Denken dreht, zu durchbrechen, macht es Sinn dem Bürger direkt nach seinen Ideen und konstruktiven Vorschlägen zu wichtigen Themen zu befragen. Migration, Klimawandel, Digitalisierung und Globalisierung - all die großen Heraus-forderungen unserer Zeit, können nur gemeinsam gelöst werden. Gemeinsam im Sinne eines gesamteuropäischen Vorgehens. Gemeinsam aber auch unter Miteinbeziehung der Bürger und Zivilgesellschaft. Das beste Gegenmittel gegen Frustration, Nationalismus und Egoismus heißt: mehr demokratische Partizipation. Nutzen wir die digitalen Netzwerke zum positiven Wandel – und zur Stärkung und Erneuerung der Demokratie. Besser heute, als morgen! Web-Tipp: Wir und die anderen - Arena Analyse 2018 Quellen: Die Zeit, Arena Analyse 2018 Fotos: Rund um die Abstimmung in Irland zum Abtreibungsrecht: Jeff F. Mitchell, Irishcentral, The Nation, Independent, Fortune, Wikipedia Text: Helmut Wolf
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