Immer mehr? Oder: gut Leben zwischen Gemeinschaft und Sinn? Der britische Ökonom Tim Jackson plädiert für mehr Lebensqualität „innerhalb natürlicher Grenzen“ - und für eine Neudefinition von Wirtschaft und Wohlstand... Obwohl wir schon so viel haben, sind wir immer noch hungrig nach mehr. Warum ist das so? Wie kann Wohlstand in einer Welt aussehen, deren Ressourcen begrenzt sind und deren Bevölkerung in ein paar Jahrzehnten voraussichtlich zehn Milliarden Menschen überschreiten wird? Haben wir eine angemessene Vorstellung von Wohlstand für eine solche Welt entwickelt? Wäre es nicht vielleicht besser, in den entwickelten Volkswirtschaften das rücksichtslose Wachstumsstreben zu stoppen und sich stattdessen darauf zu konzentrieren, die verfügbaren Ressourcen gerechter zu verteilen? „Wenn der Begriff des Wohlstands irgendeinen Sinn haben soll, dann muss er auf die Qualität unseres Lebens und unserer Beziehungen zu anderen Menschen zielen“, sagt Tim Jackson. Neben vielen grundlegenden Fragen, die der britische Ökonom und Naturwissenschaftler in seinen Auftritten und Werken aufwirft, sind es vor allem Antworten und Lösungen für eine Gesellschaft und Wirtschaft, die sich von bisher gängigen Wirtschaftsmodellen und -zielen löst. Dabei stehen Aspekte im Vordergrund, wie: globale Verteilungsgerechtigkeit, nachhaltiger Konsum, neue Formen der Zwischenmenschlichkeit - und einer „Wirtschaft ohne Wachstum“. „Wir brauchen einen anderen Motor“. „Unsere gesamte Wirtschaftsordnung baut auf ewigen Wachstum auf“, sagt der Professor für „Sustainable Development“ am „Centre for Environment and Sustainability“ an der englischen Universität Surrey: „Aber nun brauchen wir einen anderen Motor“. In Jacksons Standardwerk „Wohlstand ohne Wachstum“ fordert er nicht weniger, als eine neue Wirtschaftsordnung, die auf einem anderen Wohlstandsbegriff beruht. In seiner vor kurzem überarbeiteten Neuausgabe „Wohlstand ohne Wachstum – das Update“, zeigt Tim Jackson einmal mehr auf, worum es bei einem guten Leben auf einem endlichen Planeten wirklich geht. Nämlich um... ...Lebensqualität, Gemeinschaft, Widerstandsfähigkeit und Sinn. Jackson entwirft ein Gesellschafts- und Wirtschaftsmodell, das ohne Wachstum auskommt. Damit fordert er eine „Anpassung des herrschenden Kapitalismus“, der auf ständigem Wachstum beruht und „in völligem Widerspruch steht zu wissenschaftlichen Erkenntnissen über die endliche Ressourcenbasis unseres Planeten und störungsanfällige Ökologie, von der unser Überleben abhängt“. Der englische Nachhaltigkeitsexperte vertritt die Entwicklung einer Wirtschaft, die stark auf Dienstleistungen und lokal produzierte, nachhaltige Güter setzt. „Es ist die Schieflage einer Konsumkultur“, ist sich der Professor für nachhaltige Entwicklung Tim Jackson (Foto links) sicher. Jener Konsumkultur, in der umweltfreundliches Verhalten bestraft wird und es selbst hochmotivierten Menschen fast unmöglich macht, nachhaltig zu handeln, ohne persönliche Opfer auf sich nehmen zu müssen. „Menschen, die ein nachhaltigeres Leben führen wollen, stehen im Konflikt mit ihrer gesellschaftlichen Umgebung“, sagt der Ökonom und Naturwissenschaftler. Als Beispiel nennt Jackson unter anderem den Individualverkehr, wo mehr Anreize geschaffen werden als für die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Steigender Wohlstand ist nicht automatisch das Gleiche wie wirtschaftliches Wachstum“, sagt der Professor für Nachhaltige Entwicklung an der Universität von Surrey. Das heißt: Wohlstand ist nicht von vornherein gleichbedeutend mit Einkommen und Reichtum. „Die Gleichsetzung von steigendem Wohlstand mit Wirtschaftswachstum ist ein Kurzschluss“, unterstreicht Tim Jackson. Einer der Vorwürfe gegen das Wachstum lautet, dass es seine Wohltaten im besten Falle ungleich verteilt: „Die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung verdient weniger als sieben Prozent des Gesamteinkommens. Dagegen verdient das eine Prozent an der Spitze etwa 20 Prozent des Welteinkommens - und besitzt fast die Hälfte des globalen Reichtums. Ungleichheit der Einkommen. Nach dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen, ist die Ungleichheit bei den Einkommen heute größer als zu irgendeinem anderen Zeitpunkt seit Mitte des vergangenen Jahrhunderts. Jackson analysiert: „Während die Reichen immer reicher wurden, stagnierten die Realeinkommen der Mittelschicht in den westlichen Ländern - und das bereits lange vor der Finanzkrise“. Wachstum habe den Lebensstandard der besonders Bedürftigen keineswegs gehoben. Ganz im Gegenteil. Das Wachstum hat in den letzten fünf Jahrzehnten einen großen Teil der Weltbevölkerung seinem Schicksal überlassen. Vor allem in den letzten Jahren ist der Reichtum zu den wenigen Glücklichen „hinaufgesickert“. Eine „reale Wohlstandsdifferenz“, riesige Ungleichheiten..., ganz gleich, welche Maßstäbe man anlegt – charakterisieren den Unterschied zwischen Arm und Reich. „Ein solches Missverhältnis ist furchtbar“, meint Nachhaltigkeitsexperte Jackson. Schon aus humanitärer Sicht. Diese Ungleichheit produziert überdies wachsende soziale Spannungen: reales Elend in den am meisten benachteiligten Bevölkerungsgruppen, die sich auf die Gesellschaft und Welt als Ganzes negativ auswirken. Es ist auch durchaus schon die These vertreten worden, dass steigende Ungleichheit einer der Gründe für die derzeit globale Krise gewesen sei. „Während wir dem Kreislauf von Arbeiten und Geldausgeben zu entkommen suchen, leiden wir unter dem Überdruss am Müll und Chaos des modernen Lebens“, umschreibt Jackson den derzeitigen Zustand der Wohlstandsgesellschaft. Aber: Die unablässige Jagd nach materiellem Vorteil trifft auf immer mehr Gegenwind. Viele Menschen sehnen sich (wieder) nach bestimmten Formen der Zwischenmenschlichkeit. „Wir würden es begrüßen, wenn hier Eingriffe unternommen würden, um das Gleichgewicht wiederherzustellen. Eine Verlagerung hin zu einem „alternativen Hedonismus“, würde zu einem ökologisch nachhaltigeren Lebensstil führen. „Dies würde uns auch zu mehr Zufriedenheit und Glück verhelfen“, glaubt Jackson. „Die Menschen sind glücklicher und führen ein nachhaltigeres Leben, wenn sie innere Werte bevorzugen - und damit in Familie und Gemeinschaft verankert sind“, verspricht Jackson. Glaubt man diversen Studien, dann sei ein gutes Leben innerhalb von Grenzen eine reale Möglichkeit. Es ist die Aufgabe der Wirtschaft, Wohlstand zu befördern und zu ermöglichen. Aber: Wohlstand ist nicht gleichbedeutend mit materiellem Reichtum. Für Wohlstand braucht man mehr als nur die materielle Versorgung für den Lebensunterhalt. Dies bemerken immer mehr Menschen auf der Welt... Gemeinschaft - wahrscheinlich die tiefste Quelle unseres Wohlbefindens, und der Grundbaustein des allgemeinen Wohlstands.... Buchtipp: „Wohlstand ohne Wachstum – das Update“ 368 Seiten Erschienen im: oekom Verlag Fotos & Illustrationen: chloethurlow.com (Titel), theguardian.com, ourcamplife.ocm, afewlovelythings.com, davidebonazzi.com Text: Helmut Wolf
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