Mut machen! Barrieren in Köpfen und am Arbeitsmarkt abbauen. Gregor Demblin, Gründer der sozialen Unternehmensberatung myAbility, gilt als unermüdlicher Kämpfer einer inklusiven Unternehmens- und Lebenskultur. Ein Interview! Herr Demblin, was sagen sie Menschen, wenn Sie die Aussage „Das geht ja nicht“ hören? Ich höre ständig, was alles nicht möglich ist und nicht geht. Sei es von Taxifahrern, dass der Rollstuhl nicht in den Kofferraum passt, oder was alles am Flughafen nicht funktioniert. Mittlerweile bin ich sogar schon so weit, dass ich den Satz gar nicht mehr ernst nehme. Oder sogar als Ansporn sehe. Ich habe schon so viele Dinge gemacht, von denen alle glaubten, dass sie nicht gehen werden – so war das bisher auch bei all meinen Unternehmungen. Meinen Kindern sage ich immer, lasst euch nie von irgendjemandem einreden, dass irgendwas nicht gehen wird. Man muss es zumindest einmal versuchen, bevor man sagt, dass etwas nicht geht. Die Welt befindet sich seit einigen Jahren in einer Reihe von Krisen und steht vor großen Herausforderungen. Was würden sie Menschen raten, um besser mit Unsicherheit und Veränderungen umgehen zu können? Ich würde den Menschen sagen, dass das ganze Leben eine ständige Veränderung ist, und dass es eigentlich nichts gibt, was dauerhaft gleichbleibt. Man muss sich an den Gedanken gewöhnen, dass wir uns von der Geburt bis zum Tod ständig verändern, sich alles rundherum verändert und immer verändern wird. Genau dieser Fluss ist ja auch eine der Grundweisheiten in jeder philosophischen Strömung. Manchmal sind Veränderungen stärker, manchmal weniger stark wahrnehmbar, manchmal auf einer globalen und manchmal auf einer sehr individuellen Ebene, aber Unsicherheit und Veränderung ist das, was unser Leben ausmacht. Ich glaube das Wichtigste ist, dass man vor Veränderungen keine Angst hat. Veränderung heißt nicht automatisch, dass alles schlechter wird. Veränderung heißt, dass etwas Neues entsteht und etwas Neues kann ja auch etwas sehr Gutes sein. In jeder Veränderung liegen riesige Chancen. Und genau diese Chancen muss man sehen - nicht die Ängste. Die jüngste Geschichte hat gezeigt, dass nach schwierigen Zeiten neue, positive gesellschaftliche Entwicklungen entstehen können. Was sind ihrer Meinung nach die (bisherigen) Lehren aus Pandemie, Energieknappheit und Klimaveränderungen? Ich bin ein großer Optimist. Ich glaube, die Menschheit hat es ganz oft geschafft, Probleme in letzter Sekunde zu lösen. Ich will die Klimaveränderungen überhaupt nicht kleinreden – das sind riesige Herausforderungen, vor denen wir hier stehen. Aber ich glaube daran, dass es den Menschen auch hier gelingen wird, Lösungen zu finden. Ich hoffe, dass die Pandemie die Menschen auch ein bisschen wachgerüttelt hat und gezeigt hat, dass man oft sehr schnell handeln muss und die Dinge nicht immer nach hinten verschieben kann. Das ist in der Pandemie, im Falle der Impfung, sehr gut gelungen. Genau solche vereinten Anstrengungen braucht es auch beim Thema Klima und ich hoffe, dass die Menschen das rechtzeitig verstehen werden. Wirtschaft, Konsum, Mobilität, Digitalisierung und Arbeitsmarkt – wir stehen vor massiven Umwälzungen. Wenn Sie eine Prognose wagen würden, wie glauben Sie wird sich unsere Welt in 20 Jahren darstellen?
So eine Prognose wäre unseriös. Ich glaube, dass die Digitalisierung der Trend ist, der sich am allerstärksten auswirken wird. Wir stehen jedenfalls noch ganz am Anfang. Alle Unternehmen sind dabei, unglaublich viele Daten zu sammeln, aber die wenigsten wissen wirklich, was sie mit diesen Daten anfangen und wie sie sie verwerten können. Das ist auch das Kernthema von dem, was wir bei „tech2people“ machen. Ich glaube, es wird große Veränderungen geben – so wie es diese immer gegeben hat. Ich freue mich sehr auf die nächsten 20 Jahre. Und ich hoffe, dass unsere Welt eine sehr grüne Welt sein wird und wir ein anderes Thema diskutieren als das Thema Energieknappheit. Haben Sie ein bestimmtes Ziel, dass sie anstreben? Ich habe immer viel zu viele Ziele gleichzeitig (lacht). Woraus schöpfen sie Kraft und Lebensfreude? Die größte Lebensfreude schöpfe ich aus meinen Kindern und daraus, zu sehen, wie sie groß werden und wie sie die Welt sehen. Was ich ständig an positiver Energie von ihnen geschenkt bekomme – das ist unschätzbar. Neben meiner Familie schöpfe ich auch sehr viel Lebenskraft aus der Natur - ich liebe das Meer, den Wald und die Berge. Und ich liebe meinem Beruf. Einen Beruf zu haben, der einen erfüllt, kann sehr viel Kraft und Lebensfreude schenken. Ich habe dieses Privileg. Auch große Ziele, die ich mir stecke und irgendwann erreiche, motivieren mich jeden Tag. Was ist ihr Lebenskonzept? Ich versuche, mir immer darüber bewusst zu sein, wie unendlich kurz die Zeit ist, die uns gegeben wurde. Jeden Tag als Geschenk wahrzunehmen und den Wert zu sehen, der uns in jedem einzelnen Augenblick geschenkt wird. Vielen Dank für das Gespräch! Web-Tipps: www.myability.org www.tech2people.at Fotos: Achim Bieniek, Point of View, Tech2people, Florian Wieser/myAbility Interview: Helmut Wolf
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Konsum neu denken und leben. Unternehmen mit „allen realen“ Umweltkosten besteuern. Peter Windischhofer, Co-Gründer des Online-Marktplatzes „Refurbed“, zeigt sich im nachfolgenden Interview überzeugt, dass Europa Vorreiter und Vorbild beim nachhaltigen Wirtschaften und Klimaschutz werden kann und muss… Herr Windischhofer, das bisherige Mantra lautet: Wirtschaftliches Wachstum, um (fasst) jeden Preis. Die weltweite Klimakrise und vielen sozialen Konflikte zeigen, dass stetiges Wachstum zu einem globalen Ungleichgewicht geführt hat. Welche Mechanismen und Regeln bräuchte es Ihrer Meinung nach, um ein nachhaltiges Wirtschaftssystem etablieren zu können? Ein Teil der Antwort liegt bereits in der Formulierung: „Wirtschaftliches Wachstum um jeden Preis“ wäre aus meiner Sicht nicht das Problem gewesen, wenn es so tatsächlich stattgefunden hätte. Aber genau nach diesem Prinzip haben wir eben in den letzten 50 Jahren nicht gewirtschaftet: Wäre der Preis das oberste Entscheidungs-Prinzip in unserer Wirtschaft gewesen, hätten Unternehmen in die Gesamtrechnung auch Ressourcenverbrauch, Entsorgungskosten, CO2- Ausstoß und andere Umweltaspekte „einpreisen“ müssen. Denn all das hat einen Preis, auch wenn er nicht auf einem Zettel mit Umsatzsteuer daherkommt. Genau das ist aber in den letzten Jahrzehnten nicht passiert. Was braucht es also, um ein nachhaltiges Wirtschaftssystem aufzubauen? Zuerst die Erkenntnis (und auch das Erleben), dass unsere Art des bisherigen Konsums uns selbst „teuer zu stehen“ kommt. Dann kann jeder und jede Einzelne anfangen sich die Frage zu stellen: Wenn das der Preis ist – brauche/will ich das wirklich? Und dann braucht es natürlich auch Veränderungen auf politischer und struktureller Ebene. Es müssen Anreize für Unternehmen geschaffen werden Nachhaltigkeit in der Unternehmenskultur zu verankern - und nicht einfach als „Greenwashing“ auf die Marketing-Agenda zu setzen. Auch Rechtssicherheit für Großinvestitionen in Nachhaltigkeit ist ein wichtiger Aspekt. Oder eine Rechtslage, die Reparatur als Recht der Konsumenten verankert. Wir sind daher auch Teil eines Experten-Konsortiums zum Thema „Kreislaufwirtschaft der europäischen Union“. Diese Initiative wird vom Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss (EESC) in Brüssel unterstützt und trägt zur „European Circular Economy Stakeholder Platform“ (ECESP) bei. Zuviel Konsum = zu viel Ressourcenverbrauch. Wie glauben Sie, lassen sich bisherige, ressourcenverschwendende Gewohnheiten in der Gesellschaft ändern? Für den oder die Einzelne ist es wichtig, dass es einfacher und kostengünstiger wird, nachhaltig zu leben. „Einfacher“ im Sinne von Verfügbarkeit und Sicherheit, „günstiger“ im Sinne der Kostenersparnis. Das ist sicher auch einer der Hauptgründe, warum wir mit unserem Online-Marktplatz und der Idee des „Refurbishments“* seit 2017 so stark wachsen: Viele Menschen wollen nachhaltig kaufen, denken aber noch immer, dass dies „teurer“ bedeutet. Bei uns erleben sie, dass sie z.B. neuwertige Elektronik nachhaltig kaufen können, mit 1 Jahr Garantie und einer Kostenersparnis bis zu 40 Prozent. Dieses Erleben führt dazu, dass wir unter unseren Kunden viele „Wiederholungstäter“ haben. Viele EU-Ländern sind heute sehr wohlhabend. Jener Wohlstand, der auch durch fossile Energieträger und einen verschwenderischen Lebensstil gewonnen wurde. Wie müssen sich die wohlhabenden, europäischen Länder und die EU zukünftig positionieren – gerade auch im Hinblick auf die Vorbildwirkung für Schwellenländer in Afrika oder Asien? Europa steht eigentlich vor einer großen Chance: Während wir bei vielen rasant wachsenden Wirtschaftsmärkten, wie bei der Künstlichen Intelligenz oder der Chip-Produktion, meist hinter den USA und China „hinterherhinken“, ist die Klimatechnologie ein Markt, in dem Europa nicht nur aktuell führend ist, sondern auch das Potenzial hat, dies auch langfristig zu bleiben. Daher muss Europa Vorreiter beim Klimaschutz werden, damit sich dies nicht nur positiv auf das Klima auswirkt, sondern auch auf Europas Wirtschaft. Dies wäre auch für die Schwellenländer ein wichtiges Signal in Richtung: Wirtschaftliche Stärke durch Innovation und Nachhaltigkeit.… ![]() Die Pandemie, der Krieg in der Ukraine, die Energiekrise, extreme Umweltereignisse... "Braucht" es Krisen und extreme Situationen damit Menschen ihr Verhalten überdenken? Ich weiß nicht, ob man sagen kann, wir „brauchen“ Krisen. Fakt ist: Wir haben sie - und sie werden wohl eher mehr als weniger werden. Und: wir werden diese Krisen immer haben. Die Frage ist aber: Was sind wir bereit aus ihnen zu lernen? Wenn wir uns auf das Neue einlassen und auch neue Fragestellungen zulassen, die daraus entstehen, kann letztendlich das Ergebnis einer Krise positiv, befriedigend und sinnvoll sein. Das funktioniert aber nur, wenn man durch die Krise durchgeht und nicht daran vorbei. Das betrifft Einzelpersonen genauso, wie Unternehmen und Staaten. Ein nachhaltiger Lebensstil wird zumeist mit Einschränkung und weniger Komfort assoziiert. Welche positiven Anreize könnten bei den Menschen wirken? Aus Unternehmersicht würde ich sagen: Leichtere Verfügbarkeit, die Sicherheit, hochwertige Produkte zu kaufen, Rückgaberecht, Garantien – und dabei Preisersparnis bei allen nachhaltig produzierten oder erneuerten Produkten. All das, was wir aus der „Fast Consumption“ kennen, muss sich mittelfristig auch bei nachhaltigen Produkten am Markt etablieren. Wichtig ist aber auch, dass die Politik steuerliche Anreize schafft, also zum Beispiel die Umsatzsteuer auf nachhaltige Produkte senkt, oder Dienstleistungen und Produkte, die wir als „Klimasünder“ kennen, teurer macht. So muss beispielsweise Fliegen einfach mehr kosten als Zugfahren. Reparieren, Teilen/Sharen, im Kreislauf wirtschaften... Wie sieht ihrer Meinung nach ein ideales soziales und umweltgerechtes Wirtschaften und Handeln in Zukunft aus? Genauso: Reduce – also weglassen, was nicht nötig ist. Reuse – reparieren, refurbishen, verschenken, weiterverkaufen… Recycle – was wirklich nicht mehr verwendet werden kann, so entsorgen, dass es möglichst wenig Impact erzeugt. Ach ja – und beim Kauf schon den Recycling-Aspekt mitbedenken. Der Wandel fängt bei jedem Einzelnen an. Welche Veränderung war für Sie in den vergangenen 5 Jahren die schwierigste bei der Umsetzung? Ich habe mein Reiseverhalten sehr stark geändert. Früher bin ich beruflich und privat viel geflogen. Mittlerweile versuche ich, das so stark wie möglich einzuschränken. Jetzt fliege ich nur mehr, wenn es keine Alternative gibt und kompensiere das entstandene CO² zumindest. Meistens nehme ich jedoch den Zug oder reise gar nicht und plane meine Meetings online. Urlaub mache ich meistens mit dem E-Auto im europäischen Ausland. Was würden Sie - ganz generell - sofort ändern, wenn Sie es könnten? Ich würde Ressourcenverbrauch und den CO2-Ausstoss global massiv besteuern, um endlich die realen Kosten richtig zu verteilen. Was ist ihr persönliches Lebenskonzept? Überlege dir, wo du wirksam sein kannst und dann steh‘ auf und tu es. Vielen Dank für das sehr interessante Gespräch! Web-Tipp: www.refurbed.com Info *Refurbishing bezeichnet die qualitätsgesicherte Überholung und Instandsetzung von Produkten zum Zweck der Wiederverwendung und -vermarktung. Unter anderem für Smartphones, Tablets, Monitore, Software, Drucker, Kopiergeräte, Toner- und Tintenkartuschen usw. Aber auch bei Komponenten aus Kraftfahrzeugen, Produktionsmaschinen und ganzen Produktionsstraßen trägt Refurbishing zur Vermeidung von Abfällen und Schonung von Primärressourcen bei. Fotos: Unsplash, Pexels, Refurbed Interview: Helmut Wolf Tonnenweise Obst und Gemüse „retten"? Und daraus köstliche Marmelade, Sirup, Chutneys und Eingelegtes kreiren? „Unverschwendet“ nennt sich das vorbildhafte Projekt gegen Lebensmittelverschwendung von Cornelia und Andreas Diesenreiter. Ein Gespräch über anfängliche Skepsis und nachhaltigen Erfolg... „Selbstständigkeit und die Verwirklichung neuer Ideen stößt immer auch auf Skepsis“, sagt Cornelia Diesenreiter. Gerade wenn es um etwas Neues geht, dass es in dieser Form bisher noch nicht gegeben hat. Als sie gemeinsam mit ihrem Bruder Andreas 2015 das Projekt „Unverschwendet“ ins Leben gerufen hat, gab es so gut wie keine Jobs im Bereich Lebensmittelabfallvermeidung. „Unbändiger Glaube an der Sache". „Mir blieb sozusagen nichts anderes übrig, als gemeinsam mit meinem Bruder Andreas ‚Unverschwendet‘ zu gründen“, sagt Diesenreiter. Für diese Entscheidung sei sie heute noch jeden Tag dankbar, wie sie betont. Und auch wenn ihrer Idee am Anfang Skepsis entgegengebracht wurde, und viele meinten, dass „sich das wirtschaftlich niemals ausgehen wird“, so waren sie und ihr Bruder stets vom „unbändigen Glauben an der Sache“ überzeugt. Der Erfolg gibt den beiden jedenfalls Recht. Lebensmittelabfallvermeidung ist heute zu einem zentralen Thema geworden. Und mit der Philosophie des Unverschwendet-Teams, hat man genau das richtige „Rezept“ dafür gefunden. Nämlich: Überschüssiges Obst und Gemüse in köstliche Produkte, wie Marmelade, Sirup, Chutneys, Eingelegtes, Süß-Saures, Ketchup, Saucen und vieles mehr, umzusetzen. „Wenn man tonnenweise Obst und Gemüse rettet, wenn man gemeinsam mit den Landwirtinnen am Feld die Wunder der Natur beobachtet oder die Menschen in unseren Laden kommen und sich dafür bedanken, dass es uns gibt, dann wissen wir, dass wir das Richtige tun“, sagt Cornelia Diesenreiter. Man kann ihr nur zustimmen...
Web-Tipp: www.unverschwendet.at Fotos: Unverschwendet Text: Helmut Wolf Der Text ist auch in der „Freude“-Ausgabe 18 von Sonnentor erschienen. Brotbacken? Ist das nicht Omas Sache? Wieso sich das in den letzten Jahren stark geändert hat und wie die Pandemie uralte Traditionen wieder in unsere Küche zurückbringt, haben uns Simon Wöckl und Michael Öfner von „Kruste und Krume" im folgenden Interview erzählt! Das ganze Haus duftet nach dem unvergleichlichen Geruch von frischgebackenem Brot: innen herrlich luftig, außen köstlich knusprig. Eine Scheibe, noch warm, mit Butter und Salz. Wer schon einmal das Glück hatte, dieses Szenario zu erleben und zu schmecken, weiß, dass es kaum etwas Köstlicheres gibt. Ein absoluter Glücksmoment. Aber wer kann das heutzutage schon behaupten? Das Wiener Unternehmen „Kruste und Krume" bietet nicht nur eine Vielzahl an Mehlen und Backzutaten in ihrem Shop an, sondern veranstaltet vor allem auch unterschiedliche Workshops rund um das Thema Backen. Wir befinden uns in Österreich nun zum dritten Mal in einem harten Lockdown. Unser Alltag hat sich stark verändert, so viel ist klar – entgegen aller Trends in Richtung Technisierung und Digitalisierung sehen wir aber in dieser Zeit, dass Menschen wieder anfangen, handwerkliche, ganz und gar "analoge" Dinge zu tun. Woher kommt dieses Bedürfnis? Simon Wöckl: Ich denke, dass in solchen Krisen unsere Abhängigkeit von unserer Wirtschaft und dem sich von organischen Prozessen entfernendem System, sehr klar wird und wir deshalb versuchen Unabhängigkeit, natürliche Prozesse der Lebensmittelherstellung und einfach Emotion durch das Selbermachen von Lebensmittel zu erfahren. In diesen Schaffensprozessen steckt eine unglaubliche Faszination, die mit wenig anderem Vergleichbar ist. Selbst gebackenes Brot schmeckt bestimmt nicht nur gut, sondern der Akt des Backens verbindet uns wieder ein bisschen mit der sonst so entkoppelten Lebensmittelherstellung. Ist das also auch ein bisschen ein Gegentrend zum Status Quo der industrialisierten Produktion? Michael Öfner: Definitiv. Wir haben als Gesellschaft über die letzten Jahrzehnte den Bezug zu unseren Lebensmitteln verloren. Wir erfahren durch die Verpackung oder Zutatenliste nur mehr sehr schwammig woraus ein Brot besteht, geschweige denn woher die Zutaten stammen. Das hat viele Konsumenten skeptisch gemacht und dazu veranlasst, selbst Brot zu backen. Viele ehemalige Kursteilnehmer erzählen uns oft voller Stolz, dass sie seit vielen Monaten kein Brot mehr vom Supermarkt gekauft haben - und nur mehr selbst backen. Daran erkennt man sehr gut, wie viel Freude ein kleines Stück autarke Lebensweise bereiten kann. Außerdem ist Brot ein unglaublich emotionales Produkt. Viele Menschen kennen noch das frisch gebackene Brot von der Großmutter. Wenn man dann selber das erste Mal Brot bäckt, der Brotgeruch die Küche ausfüllt, man die krachende Kruste beim Anschneiden hört und das noch warme Brot mit Butter probiert und nicht aufhören kann, sich weitere Scheiben runterzuschneiden, dann ist das schon ein schönes Gefühl. Plötzlich hat man wieder einen Bezug zu seinen Lebensmitteln. In euren Workshops steht natürlich das Brot in seinen verschiedensten Formen im Mittelpunkt. Wer möchte, kann aber auch lernen, italienische Pasta, französische Brioches oder Altwiener Kipferl herzustellen. Das klingt köstlich, aber nach viel Aufwand. Ist das wirklich etwas für den Alltag? Michael Öfner: Ja, und genau diese ‚Alltagstauglichkeit‘ wollen wir unseren Teilnehmern in unseren Kursen vermitteln! Wenn man ein funktionierendes Rezept hat und die richtige Beschaffenheit eines Teiges kennt, wird Brotbacken zum Kinderspiel. Brotteige haben den großen Vorteil, dass sie sehr wenig Aufmerksamkeit benötigen. Ist ein Teig einmal geknetet, muss er nach der Ruhephase nur mehr geformt werden und kann wenig später gebacken werden. Sowas lässt sich wunderbar in den Alltag integrieren, und das wollen wir auch in den Kursen zeigen. Besonders schön zu sehen ist das bei dem italienischen Pastakurs. Oft glauben die Teilnehmer, man bräuchte dafür eine Pastamaschine - und jede Menge Zeit. Doch frische Bandnudeln sind in weniger als 5 min ausgerollt und können sofort gekocht werden. Gemeinsam mit gutem Olivenöl und Cherrytomaten hat man in kürzester Zeit ein herrliches Gericht gezaubert. Und wenn es dann noch selbstgebackenes Baguette dazu gibt… Besonders interessant: Auch Urgetreide wie Einkorn, Emmer oder Waldstaude werden bei euch verwendet. Was sind hier die Besonderheiten? Und wer baut solche Urgetreide heute überhaupt noch an? Simon Wöckl: Immer mehr Ackerbaubetriebe, gerade im Biolandbau, setzen in den letzten Jahren vermehrt auf den Anbau von raren, älteren Getreidesorten, die auch oft unter dem Namen Urgetreide in den Handel kommen. Biodiversität ist in unserer industrialisierten Welt ein schwindendes und hoch bedrohtes Gut. Auf das müssen wir besonders achten. Das sollten wir nicht nur konservieren, sondern auch mehr fördern und wiederherstellen. Die Vielfalt, sei es im Ackerbau, in der Viehhaltung, der Lebensmittelproduktion oder der ganzen Flora und Fauna, ist das Fundament jedes funktionierenden Ökosystems. Je komplexer und vielfältiger ein System, desto stabiler ist es. Der Anbau von raren Getreidesorten wie Emmer, Einkorn oder Waldstaude bietet vor allem dem Biolandbau auch die Möglichkeit auf nicht so ertragsfähigen Böden hochwertige Produkte für die Ernährung zu produzieren, welche nebenbei im Mineralstoff- und Vitamingehalt, sowie dem Aromam meist in ganz anderen Ligen spielen als moderne Hybridsorten. Auf solchen Flächen wächst dann vermehrt „Ackerbegleitflora“, von der sich viele Insekten ernähren. Da fliegt und wächst viel mehr... Wie würdet ihr einen Menschen, der noch nie selbstgebackenes Brot probiert hat, nicht leidenschaftlich gerne kocht und vielleicht auch nicht besonders viel Zeit hat, dazu überzeugen selbst ein eigenes Brot zu backen?
Simon Wöckl: Brot zu Backen, seinen eigenen Sauerteig zu ziehen, sich eine eigene Kultur zu züchten, ist eine ganz besondere Erfahrung. Man zieht etwas groß, es fühlt sich so an wie etwas zum Leben zu erwecken. Obwohl es mehr ein Einfangen von verschiedenen Mikroorganismen und kontrolliertes Gestalten deren Lebensraumes ist. Aber schöner klingt der erste Ansatz. Ich habe durch meine Tätigkeit schon bei vielen Menschen diesen Paradigmenwechsel und das Wachsen der Faszination erleben dürfen. Es gibt so viele Möglichkeiten Brot sehr zeiteffizient zu backen. Die Zeit gilt also als Ausrede nicht mehr. Es ist eine bewusste Entscheidung, die müssen alle selbst treffen. Ich versuche Menschen durch Leidenschaft, Rezepte und Wissen dazu zu motivieren. Danke für das interessante Gespräch! Web-Tipp: www.krusteundkrume.at Fotos: Barbara van Melle, Simon Wöckl (Titelfoto), Kruste & Krume Interview: Sarah Langoth |